Wer ist Lars von Trier? The Boss of It All (2)

Der berüchtigte Regisseur Lars von Trier ist längst über Cineastenkreise hinaus bekannt und ähnelt nicht nur in dieser Hinsicht dem deutschen enfant terrible Rainer Werner Fassbinder. Letzterer, 1982 verstorben, provozierte ebenso gern wie von Trier sein Publikum. Sowohl mit Sujets als auch mit ihrer ästhetischen Umsetzung sorgte er immer wieder für Unbehagen bei Publikum und Presse. Nicht zuletzt seine Äußerungen in der Öffentlichkeit machten ihn unberechenbar.

Lars von Trier hat zwei Komödien produziert, bei denen man sich tatsächlich glänzend amüsieren kann. Aber – wie nicht anders zu erwarten – benutzt von Trier dieses Format auch zur Gewinnung höherer Einsichten. In seinem Film „The boss of it all“ von 2009 karikiert er die Manager- und Unternehmensberaterkultur des Westens. Das im 1. Teil bereits beschriebene Um-mehrere-Ecken-Denken des Regisseurs sorgt auch hier immer wieder für überraschende Wendungen im Geschehen.

Die Rahmenhandlung wird von einer Stimme aus dem Off erzählt. Sie taucht erst am Ende des Filmes wieder auf und warnt uns gleich zu Beginn:

„Hier kommt ein Film. Und wenn er Ihnen schon jetzt merkwürdig erscheint: Halten Sie durch! Ich verspreche Ihnen: das ist zu schaffen! Und obwohl ich mir gerade Gedanken mache, sage ich Ihnen: Dieser Film ist keinen Gedanken wert. Es handelt sich um eine harmlose Komödie, völlig ohne pädagogische oder meinungsbildende Absicht. Wir wollen es uns gemütlich machen. Und das geht am besten, wenn wir die sogenannte Hochkultur durch den Kakao ziehen. (Räusper). Also: Wir haben hier einen selbstgefälligen, arbeitslosen Schauspieler, der wie durch ein Wunder einen Job findet, einen ganz ungewöhnlichen Job.“

Während ein Außenlift mit Kamera und Kameramann an der Fassade eines Firmengebäudes aufwärts fährt, spiegelt sich das Equipment in den Firmenfenstern, und der erfahrene Cineast erkennt in dem Kameramann seinen geschätzten Regisseur. Dieser hat sich einen weiteren Film über das Verhältnis von Schauspiel und realer Welt vorgesetzt. Indem er Christopher (Jens Albinus) die Rolle eines „Oberbosses“ spielen läßt, der keinen Schimmer von der Firma, ihren Produkten und Kennziffern hat, führt er auf satirische Weise die Logik heutiger Wertschöpfung ad absurdum.

Der Plot ist leicht erzählt: Der Chef einer Firma, die irgendetwas mit IT macht (der Zuschauer erfährt nicht, womit das Unternehmen eigentlich Geld verdient) und lediglich sechs Angestellte hat, muß diesen eröffnen, daß er die Firma verkauft und sie damit ihren Arbeitsplatz verlieren. Da diese aber keine „normalen“ Angestellten, sondern – jeder für sich – Sonderlinge sind, die es im Laufe von zehn Jahren geschafft haben, das Unternehmen in eine Art Lindenstraße der Arbeitswelt zu verwandeln – mit eigenen Ritualen und seltsamen, infantilen Zeremonien (wie z.B. eine Hymne auf den Chef Ravn) als corporate identity – bringt dieser es nicht übers Herz, ihnen die furchtbare Nachricht selbst zu überbringen. Er erfindet einen „Oberboss“, der in „Amerika“ lebt, erstmalig seine Firma besucht und dem die Entlassung in die Schuhe geschoben werden soll.

Er heuert den Schauspieler Christopher an, der zu Beginn lediglich den Kaufvertrag mit den beiden Isländern unterschreiben soll, dann aber gezwungen ist, länger in dieser Rolle zu agieren als angenommen. Da Ravn es nicht für nötig gehalten hatte, Christopher auch nur die allgemeinsten Informationen bezüglich Firma und Angestellte zukommen zu lassen, „schwimmt“ dieser natürlich ständig, wenn er Fragen der „Sechs Alten“ beantworten oder die Zahlen für das letzte Geschäftsjahr ansagen und bewerten soll. Die einzige Waffe des Schauspielers ist das Wort, das auf der Bühne erblüht und die Zuschauer verzaubert. Er zitiert also ständig irgendwelche blumige Theatersätze oder theaterphilosophische Überlegungen von dem italienischen Schriftsteller Pier Antonio Quarantotti Gambini und vernebelt damit die Gehirne der Belegschaft, sorgt damit aber gleichzeitig dafür, daß die ökonomische Versuchsanordnung einen geistigen Überbau und damit Verfremdung verliehen bekommt. Das ist wirklich köstlich. En passant erlernt er einige Fachbegriffe des Managerlateins – selbstverständlich allesamt im worldwide Businessenglisch. In der Annahme, daß der Oberboß Amerikaner sei, bietet eine der Angestellten ihm an, nachzuschauen, was „human ressources“ auf Englisch heißt. Denn für das Verständnis der „Anforderungsspezifizierung des neuen BB7-Patchs“ sind die HR von entscheidender Bedeutung.

Noch weiter verschärft sich die Lage des Schauspielers dadurch, daß er gegenüber jedem Angestellten der Firma im Zwiegespräch eine andere Person vorspiegeln muß. Das hat er Ravn zu verdanken, der, ohne Christopher zu informieren, an jeden der sechs Angestellten ca. ein halbes Jahr lang E-Mails versendete, in denen der angebliche amerikanische Oberchef auf die Charaktere und Eigenheiten der Adressaten eingegangen ist, so daß sich jetzt jeder der sechs Angestellten als Ausgezeichneter, als Freund bzw. als Geliebte des Amerikaners versteht.

Als Christoph davon erfährt, daß die Firma verkauft und die Angestellten gefeuert werden sollen, identifiziert er sich so sehr mit der Oberboß-Rolle, daß er versucht, den Verkauf zu hintertreiben, was natürlich zu weiteren Turbulenzen im Stil traditioneller Lustspiele und Verwechslungskomödien führt.

Formal könnte man den Film als einen weiteren im „Dogma 98“-Stil gedrehten verstehen. Es gibt keine sauberen Schnitte, sondern sprunghaft ineinander übergehende, was den Eindruck erweckt, er sei von einem Laien oder Familienmitglied gedreht worden. Dafür spricht auch, daß viele Bilder mit halbierten Gesichtern und schrägen Einstellungen, d.h. mit verschobenen Proportionen hergestellt worden sind. Filmmusik gibt es nicht.

Die Skurrilitäten im Verhalten der Personnage erinnern an die Erzählung „Bartleby“ von Melville und „Herrn K.“s Angestellte in Kafkas „Prozeß“. Triers „sechs Alte“ wären in der neoliberalen Arbeitswelt nicht unterzubringen: Der Eine hat eine „ländliche Depression“ (gemeint ist die Kauzigkeit der Landbevölkerung). Eine andere ist schreckhaft und schreit ständig auf, besonders wenn bei der Arbeit am Kopiergerät die gedruckten Seiten ausgespien werden. Mette heult andauernd. Ein weiterer der Gruppe regt sich häufig auf und kann nur von Umarmungen durch Ravn beruhigt werden. Und einer wird bei Kleinigkeiten aggressiv und greift jeden körperlich an, von dem er sich gereizt fühlt. Eine illustre Gesellschaft. Die Karikatur einer Therapiegruppe.

Auch der isländischen Käufer des Unternehmens bekommt sein Fett weg: er wird als bärbeißiger Wikinger dargestellt, der angesichts des unprofessionellen Agierens der Dänen Wutanfälle bekommt. Auf die Bitte, doch die Angestellten weiter zu beschäftigen, brüllt er: „Wir werden uns kein dänisches Pack aufladen!“ Der Vertragstext könne nicht mehr verändert werden, denn diesen gäbe die Edda vor. Vierhundert Jahre hätte Dänemark die Isländer hingehalten. Jetzt sei damit Schluß.

Vor zwölf Jahren war ein solches Sich-lustig-machen über die Nationaleigenschaften eines anderen Volkes, also das satirische Bedienen eines Klischees, noch möglich, ohne als Rassismus diffamiert zu werden. Tempi passati.

Wem Triers Parodie auf die dänische „Hyggeligkeit“ gefällt, findet auch an einem Mammutwerk des dänischen Schriftstellers J.J.Voskuil, das, beginnend in den fünfziger Jahren, in sieben Bänden das Leben eines Angestellten des staatlichen Instituts zur Erforschung der Volkskunde beschreibt, Freude. Unsere nördlichen Nachbarn schienen tatsächlich ein wenig entspannter und gemütvoller gelebt und gearbeitet als wir. Hoffentlich hat der Neoliberalismus nicht auch diese liebenswerte dänische Mentalität plattgemacht.

Aktuell ist der The Boss of It All auf MUBI zu sehen.

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