Verschüttete Stimmen (IV): Konrad Weiß

Einige Zeitgenossen und Freunde sahen in der Dichtung von Konrad Weiß (1880–1940) etwas Beispielhaftes und Vollkommenes.

Ich nenne nur zwei Beispiele: Carl Schmitt schrieb über Weiß etwa acht Jahre nach dessen Tod, er bleibe „der große Prüfstein“ (siehe im „Glossarium“ die Aufzeichnung vom 21. 6. 1948). Als vollkommensten Ausdruck eines Daseins in der christlichen Tugend der Hoffnung zitiert der Philosoph Josef Pieper folgende Verse von Konrad Weiß aus dem Gedicht „Die Flucht nach Ägypten“: „Kummerlos steht die im Hoffen / unerschrockne Rose offen.“ Auch heute noch weckt das Werk von Weiß Bewunderung unter Sprachbegeisterten: Botho Strauß hat Konrad Weiß in einem Atemzug mit Hamann und Hölderlin genannt, als einen, der wie diese die Vernutzung der Sprache „unterbrochen“ habe. Dies geschieht, wie Strauß anmerkt, um den Preis der Hermetik und der schweren Verständlichkeit von Weiß’ Dichtung. Es ist kein Zufall, dass seine Bücher heute nur noch antiquarisch erhältlich sind – abgesehen von dem bezeichnenderweise im Selbstverlag herausgegebenen Weiß-Lesebuch, das Timo Kölling zusammengestellt und mit einem Kommentar versehen hat.

Wie Stefan George wandte sich Weiß gegen die Vereinnahmung des Dichters durch die Masse und den Literaturbetrieb. Doch anders als George und etwa auch Rilke, deren Sprache und Selbstverständnis nicht selten die Hybris der Selbstvergöttlichung erkennen lassen, wusste der Katholik Weiß um die Fragwürdigkeit und Brüchigkeit dichterischen Schöpfertums. Er setzte in seiner Poetologie „das Wort“ emphatisch gegen eine nivellierende, zum bloßen Gebrauchsmittel degenerierte „Sprache“. Dabei ist für Weiß „das Wort“ stets auch in Beziehung zum göttlichen lógos zu sehen. Wir sprechen nicht nur „das Wort“, sondern sind auch selbst seine Kreatur.

Wer so viel wagt, dem Leser so viel zumutet wie Weiß, der wird wohl immer eine „verschüttete Stimme“ sein. Doch schon Rudolf Borchardt sprach vom Recht des Dichters, verkannt zu bleiben. Und auf die Wenigen, die erkennen, auf die Wenigen, die ausgraben – auf die kommt es an. So kann hier nicht viel mehr versucht werden, als bei manchen Lesern Interesse für einen Dichter zu wecken, der neben schweren und schwierigen auch wunderbar leichtfüßige Gedichte geschrieben hat – zum Beispiel das folgende.

Morgen-Leis

Nach einer schlaflos langen Nacht
den Sinn dumpf, müd und überwacht
weckt quirlend eine Vogelstimme,
das klingt so rein im frühen Schein,
und über jedem dunklen Grimme
schläft Unrast ein und Eigenpein.
 
Da irgendwo, wo ich nicht weiß,
singt nun das Kehlchen wirbelleis
und steht auf seinen zarten Füßen,
es ringt sein Mund, ihm selbst nicht kund,
als müsse doppelt es begrüßen
zu dieser Stund den Erdenrund.
 
Mein Sinn und mein Gedankenspiel
sucht neu erquickt das alte Ziel:
so will ich meine Seele schreiben,
so rein und nicht verdroßner Pflicht,
daß nirgendwo die Füße bleiben,
daß mein Gesicht vergeht im Licht.

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