Ursprungserkundungen

Das Herrschergeschlecht der Ottonen ist nach dem Zerfall des Frankenreiches untrennbar mit der Entstehung des Heiligen Römischen Reiches verbunden. Es entstand nach dem Zerfall des Frankenreichs Karls des Großen aus dem Ostfränkischen Reich.

In der Gedankenwelt des Mittelalters setzte das Heilige Römische Reich (später mit dem Zusatz deutscher Nation) im Rahmen der Translatio imperii das antike Reich der Römer fort. In die Herrschaftszeit der Ottonen fallen auch die ersten schriftlichen Belege für die Bezeichnung des Reiches als Regnum Teutonicum, also Deutsches Reich oder Reich der Deutschen.

Einen Einblick in die Entstehungszeit dieses Reiches geben aktuell zwei Ausstellungen in Merseburg und Memleben, die gut an einem Tag zu besichtigen sind. Wer mehr Zeit mitbringt, kann außerdem die Frühgeschichte der Region, die Epoche der Romanik und einen Teil des Geheimen Deutschlands, Rolf Schillings „Holdes Reich“, die Goldene Aue erkunden.

Chronist der Ottonen – Thietmar von Merseburg

Wir beginnen in Merseburg. Die Chronik Thietmars von Merseburg gilt als eine der wichtigsten Quellen für die Geschichte des frühen Reiches. Thietmar war Bischof von Merseburg und verwebt in seiner Chronik die Geschichte der Stadt mit der Geschichte der ottonische Herrscher. Die Chronik bietet dabei eine lebendige Schilderung der Welt um das Jahr 1.000 – politische und geistliche Ereignisse, Päpste, Kaiser, Könige, Bischöfe und kulturelle, wirtschaftliche, religiöse und ethnologische Betrachtungen.

Die Ausstellung verknüpft Schilderungen aus der Chronik mit zeitgenössischen Ausstellungsstücken. Wir vollziehen die Entstehung und Ausbreitung des christlichen Europas nach, erfahren die Bedeutung der Memoria, des Totengedenkens – während der Amtszeit von Thietmar wurde das Totengedenken der Ottonen von Quedlinburg nach Merseburg verlegt und der Grundstein zum Neubau des Doms gelegt –, und tauchen in die Lebenswelt der mittelalterlichen Menschen ein.

Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder

Ein Teil dieser Lebenswelt, der Übergang vom alten heidnischen Glauben zum Christentum, ist in einem Extraraum im Kreuzgang des Domes ausgestellt. Im Zauberspruchgewölbe sehen wir die Merseburger Zaubersprüche im Faksimile. Die Beschwörungsformeln in althochdeutsch halten heidnisch-germanisches Brauchtum fest und geben Zeugnis von den Gestalten der germanischen Sagen- und Götterwelt. Durch Vertonungen von diversen Mittelalterbands haben sie ihre Bekanntheit bis in die moderne Popkultur ausgeweitet.

Raben und Romanik

Merseburger Rabe/privat.

Einen umfangreichen Einblick in die Ur- und Frühgeschichte der Region, die Entstehung der Stadt und ihre Geschichte bis in die heutige Zeit erhält man darüber hinaus im Kulturhistorischen Museum im Schloß Merseburg, das direkt am Dom liegt. Vor dem Schloß verbüßen die Merseburger Raben die Strafe für ihren Vorfahren, der der Sage nach dem Bischof Thilo von Trotha im 15. Jahrhundert einen Ring stahl. Thilo verdächtigte seinen Diener und ließ ihn hinrichten. Später fand man den Ring bei Dacharbeiten am Schloß in einem Rabennest. Seitdem mahnt der gefangene Rabe vor dem Schloß, niemals im Jähzorn zu richten. Aus Tierschutzgründen hat der Rabe inzwischen einen Kameraden an seiner Seite.

Die notwendige Erholung finden wir beim romantischen Dom-Schloßblick an der Saale. Auf dem Weg dorthin sollte man allerdings unbedingt die erstmals 1188 erwähnte Neumarktkirche umrunden, die weitgehend in ihrem romanischen Originalzustand erhalten ist. Um die barocke Innenausstattung zu besichtigen, muß man allerding entweder an einem Samstag kommen oder sich vorher bei der Kirchengemeinde anmelden.

Cranach-Altar in der Michaeliskapelle – v. l. n. r. Johannes der Täufer, Kreuzigung, Heinrich II.

Herrschaft im Ottonenreich

Die zweite Ausstellung wird in der ehemaligen Kaiserpfalz Memleben gezeigt. Auf dem Weg dorthin bietet sich ein Besuch der Kreisgrabenanlage von Goseck an. Die wohl knapp 7000 Jahre alte Anlage ist möglicherweise eines der ältesten Sonnenobservatorien der Welt. Zusammen mit dem Fundort der Himmelsscheibe von Nebra und einigen anderen Fundstätten Teil der Route „Himmelswege“ zu vorgeschichtlichen Orten. In zehn Kilometern Entfernung liegt die Weltkulturerbestadt Naumburg mit dem Dom, der ebenso wie der Merseburger Dom zur Straße der Romanik gehört, und den berühmten Stifterfiguren. Neuzeitliche Abwechslung von der Mittelalterromantik bieten das Nietzsche-Haus sowie das Max-Klinger-Haus.

In Memleben erwartet uns die Anlage des ehemaligen Benediktinerklosters Memleben, das Kaiser Otto II. mit seiner byzantinischen Frau Theophanu zum Gedenken an seinen Vater und Großvater stiftete. Beide starben in der früheren Kaiserpfalz Memleben, die für die frühen Ottonen ein bedeutender Herrschaftsort war. Noch heute bestimmen die Reste der beeindruckenden Klosteranlage das Bild des kleinen Ortes. Die aktuelle Ausstellung dort widmet sich der Entstehung und Entwicklung der frühen Klosterlandschaft an Saale, Unstrut und Elster, sowie deren Bedeutung für die Konsolidierung der ottonischen Macht. Gezeigt wird auch, daß Klöster nicht nur Orte des religiösen Lebens und der Mission waren, sondern eine wichtige Rolle beim Wissenstransfer und der Ausübung der kaiserlichen Herrschaft spielten.

Mythen im Zwielicht

Den mythischen Abschluß sollte unsere Kurzreise eigentlich am Kyffhäuserdenkmal finden, das nur eine Dreiviertelstunde von Memleben entfernt liegt. Mit Blick auf die Goldene Aue zwischen Harz und Kyffhäuser, „wo der ganze Palimpsest von deutschem Mythos, Traum und Wahn zum Erbe gehört“ (Rolf Schilling) steigt die Hoffnung, daß die Raben einmal nicht mehr um den Berg fliegen mögen.

Queste/privat.

Da der letzte Einlaß zum Barbarossa-Denkmal um 17.30 Uhr ist und wir knapp zu spät sind, entscheiden wir uns für die Weiterfahrt ins nur ca. 20 Minuten entfernte Questenberg. Dort steigen wir im milden Abendsonnenlicht zur Queste auf, die auf einer Felssteilwand über dem Dorf steht. Der Sommer hat die Heide rings umher getrocknet, die Birken färben sich bereits jetzt, Mitte August schon gelb. Eigentlich könnten wir hier den ganzen Abend verweilen. Da wir aber ohne Proviant heraufgeklettert sind, kehren wir ins Dorf zurück und lassen den Tag bei einem hervorragenden Abendessen im Gasthaus zur Queste ausklingen.

Ausstellungen:

„Thietmars Welt. Ein Merseburger Bischof schreibt Geschichte“. Ausstellung im Dom und der Curia Nova (Willi-Sitte-Galerie). Ende: 04. November 2018.

„Wissen und Macht. Der Heilige Benedikt und die Ottonen.“ Sonderausstellung im Museum Kloster und Kaiserpfalz Memleben. Ende 15. Oktober 2018.

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