The Sound of anbruch (I)

Was ist ein ambitioniertes Kulturmagazin bitteschön ohne Musik? Nichts nämlich. Bei anbruch tut sich dieser Mißstand schon eine geraume Zeit auf. Das ändert sich nun! Los geht es mit unserer ersten Musikkolumne zur Frühlingsmusik.

Musikkolumne, was soll das denn? In diesen hochfundierten und völlig subjektiven Texten geht selbstverständlich nicht um öde Besprechungen neuer oder alter Erscheinungen. Wir wollen vielmehr versuchen, Musik mit verschiedenen Themen zu verbinden und zusammen zu führen, was vielleicht nicht zusammengehört. Natürlich wäre es ein leichtes, die hochdramatischen Corona-Zeiten zu nutzen um einen „Soundtrack of Disease“ zusammenzustellen (keine Angst, der kommt sicher noch. Dazu ist die Steilvorlage einfach zu gut). Da in Krisenzeiten die Psychohygiene allerdings auch immer wichtig ist, starten wir die Reihe mit einem rundum positiven Beitrag.

Vielleicht kennen das einige Leser: Zu bestimmten Jahreszeiten gibt es bestimmte Alben oder Stücke, die man jedes Jahr aufs neue fast exakt auf den gleichen Tag wieder aus dem Plattenregal oder der Festplatte sucht. Das ist bei mir schon seit Jahren so. Warum ausgerechnet diese Stücke mein Frühlingssoundtrack sind, keine Ahnung. Mit den Texten hat es meist weniger zu tun. Wahrscheinlich ist es eher die Stimmung oder irgendwelche unterbewußten Prozesse, von denen ich nichts weiß.

Der Corona-Lockdown in diesem Jahr hatte ja immerhin einen Vorteil: Landeier wie ich konnten seit Anfang März einen ausnehmend schönen Frühling genießen. Die Zeit der Frühblüher wie Buschwindröschen, Scharbockskraut und Schlüsselblume ist nun zwar vorbei. Doch das immer noch sehr frische Grün an den Bäumen und ein wunderbarer Teppich Sternmiere in der heutigen Nachmittagssonne haben mich die Frühlingslautsprecher noch einmal laut aufdrehen lassen.

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Wir starten ganz klassisch mit Antonio Vivaldi. Nun mag mancher an Klassik-to-go denken. Ja, auf den ersten Blick wirkt Vivaldi wie ein vielleicht wenig anspruchsvoller Komponist, ein bißchen Barock-Gefiedel, die vier Jahrezeiten, hat man, kennt man. Aber gerade die Vier Jahreszeiten lassen mich seit Jahren schon nicht mehr los. So gut hat kaum ein Komponist die Stimmungen der Jahreszeiten eingefangen. Besonders der dritte Satz begeistert mich jedes Mal aufs Neue (um die beste Aufnahme muß sich der geneigte Leser/Hörer selbst oder Jonas Maron kümmern):

Wer da weiterhören mag, kann bei Vivaldi viel entdecken (La Follia ist ein Fest für jeden Metal-Fan).

Eine andere Vertonung der Jahreszeiten haben vor langer Zeit Nocte Obducta vorgenommen. Die Band gehörte musikalisch lange Zeit zum anspruchsvolleren deutschen (Black) Metal. Hört man sich die Texte nach Jahren wieder an, ist da sicherlich viel Schwulst und Kitsch dabei, aber das muß in einem gewissen Alter ja auch so. Des schwarzen Flieders Wiegenlied vom ersten „Nektar“-Album der Band bereitet einen Teppich aus rasendem Kraftausbruch und stillen Abendmomenten:

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Nachdem das Terrain mit diesen beiden Marken abgesteckt ist, kommen wir zur gefühlten Frühlingsmusik. Es gibt so Bands, da weiß man gar nicht, warum man die gut findet und trotzdem begleiten sie einen über Jahre. Placebo ist bei mir so eine Band. Kaum eine Erste-Frühlings-mit-offenem-Fenster-Autofahrt ohne, dass Placebos erstes Album lief. Placebo liefert eine angenehme Melancholie-Variante, die immer irgendwie Brit-Pop-Anleihen hatte, es aber nie war. Und heute sind sie eigentlich völlig aus der Zeit gefallen (schöne Aufnahme mit David Bowie).

Also: Stöpsel in die Ohren, aufs Fahrrad geschwungen und die Frühlingsluft in die Lungen:

Keine Musikkolumne ohne Peinlichkeiten (ob ich mich daran halte, weiß ich nicht). Die überflüssigste Band der Welt ist mit ziemlicher Sicherheit Coldplay. Zwar sind sie auch irgendwie Brit, aber ohne Eigenständigkeit. Fast alles, was sie veröffentlicht haben, ist vorhersehbar, tut nicht weh und Chris Martin liefert das obligatorische „soziale Engagement“ noch obendrauf. Globale Konserve. Und doch: auf den ersten beiden Alben sind ein paar Stücke, die ich im Frühling immer wieder gerne höre. Für den Rest des Jahres aber gilt: Coldplay ganz schnell vergessen.

Ebenfalls Brit, aber weniger Pop sind The Cure. Zu den Post-Punk/Wave-Urgesteinen muß man eigentlich nichts schreiben, oder? Alle Jahre wieder stimmt mich die Live-Aufnahme von Figurehead auf die bald beginnende – dieses Jahr ausfallende – Festivalsaison ein.

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Und wir bleiben den Briten treu. Matt Howden ist Neofolk-Hörern sicherlich ein Begriff allein durch seine Kooperationen mit Tony Wakeford (Sol Invictus), Kim Larsen (OTWATM) Sonne Hagal oder Spiritual Front. Allerdings hat Howden so gar nichts mit dem Neofolk-Klischee zu tun, keine Landsertrommeln, keine Kniebundhose, kein bündisches Gitarrengeklimper. Howdens Instrument ist die Violine, dazu ein Loopgerät. Mehr braucht er auch für Konzerte nicht (eines der besten Konzerte, die ich von ihm gesehen habe). Eines seiner Alben hat Howden den Wildblumen gewidmet und den Hörer in den Naturgarten eingeladen. Natürlich nicht ohne Hintergrund, denn das Album heißt nicht umsonst Sex and Wildflowers:

Nie darf man im Frühling jedoch vergessen, daß auch der Frost noch einmal kommen kann – die Eisheiligen erwarten uns noch im Mai. Das Volkslied Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht erinnert daran, natürlich nicht ohne menschlich-abgründigen Hintergrund. Die Sängerin Christiane „Bobo“ Hebold – u.a. steuerte sie verschiedene Backing-Vocals bei Rammsteinsongs bei – hat sich vor Jahren verschiedene Volkslieder vorgenommen. Die Reaktionen waren sehr gespalten. Mir gefielen einige Stücke sehr gut, u. a. Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht. Wer es lieber klassisch mag, wird hier fündig.

Bei Matt Howden waren wir schon einmal bei der Mythologie gelandet. Bevor die Kolumne sich dem Ende nähert, kehren wir noch einmal dahin zurück. Den April beendet jedes Jahr die Walpurgisnacht, ein magisches Fest mit einer Vielzahl an Bräuchen. Zu Beginn des Feuers, wenn noch alles fröhlich, gelöst und klar ist, höre man Schandmaul (ja, natürlich, das ist Schlager-Pseudo-Mittelalterrock, aber die alten Alben sind ganz in Ordnung):

Später in einer ruhigeren Stunde ist dann Joachim Raff an der Reihe. Und wenn dann alle nicht mehr ganz beieinander sind und die wirklich finsteren Gestalten dieser Nacht aus ihren Höhlen kriechen, lasse man sich bitte Belphegor durchs Gebälk dübeln.

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„Zwischen Hochkultur und Gosse“ – das ist Tanos persönlicher Leitspruch und dem will ich auch in dieser Kolumne wenigstens ein bißchen gerecht werden. Wenn man auf die letzten 30 Jahre Musikgeschichte zurückschaut, dann ist es nicht vermessen zu sagen, daß die 90er Jahre in diesem Zeitraum das kreativste Jahrzehnt waren. Immerhin sind hier noch ganze Genres entstanden: Grunge, Black Metal und nicht zuletzt die Entwicklung der Techno-Szene, um nur einiges zu nennen. Allerdings war der Trash-Faktor in den 90ern auch sehr hoch. Während man im Black Metal trashiges noch als besonders trve kategorisieren kann, geht das bei den Auswüchsen der Techno—Szene kaum noch. So gab es das wunderschöne Projekt Das Modul, dessen wichtigster Inhalt die Vertonung ihrer ersten Liebes- und Computererfahrungen war. Mit Frühlingsgefühle ist man direkt wieder in der Zeit:

Techno war nicht nur mit der Loveparade besonders in Deutschland ein großes Phänomen. Viele Projekte und DJs kamen aus Deutschland. So auch RMB, mit denen die Kolumne heute endet. Während die ersten Stücke noch ziemliche ravig waren, erweiterten RMB später ihr Spektrum. Das letzte Stück für heute – Spring – hat zwar immer noch schnelle Beats, die Melodieführung reicht aber schon eher an den Trance-Bereich heran. Keine große Kunst, zum Kochen reichts aber:

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