Seitensprung (3)

Seitensprung: Gegen die abendliche Leseunlust im Bett! Hier geht es zum ersten Teil und hier zum zweiten.

Paul Bowles – Taufe der Einsamkeit

Sich heute noch als Individualtourist zu bezeichnen ist nur mehr eine Farce. In Zeiten von Lonely Planet-Guides und interkontinentalen Billigflügen gilt schon fast derjenige als Außenseiter, der noch nicht mit seinem Rucksack durch Südostasien gereist ist. Warum also noch Reiseberichte lesen? Die Antwort gibt der US-amerikanische Schriftsteller und Komponist Paul Bowles in Form seiner Reisetagebücher.

„Er ist üblicherweise Anfang zwanzig, manchmal trägt er einen Bart, und oft kleidet er sich auf eine Weise, die fast schon aggressiv zwanglos ist. Die neue „verlorene Generation“ die Amerika seit dem letzten Krieg auf die Welt losgelassen hat, ist vollkommen verloren.“

Schon in jungen Jahren war Bowles auf der Suche nach sich selbst. Platz für die Beantwortung dieser ureigenen Frage gab es für ihn im heimischen Amerika kaum. Bowles brach also aus und ging auf Reisen, die ihn in den vor allem in den 1950er Jahren noch wenig erschlossenen Maghreb führten. Das authentische Erlebnis einer anderen Kultur, die der Musik aufgrund eines immens hohen Anteil von Analphabetismus immer den Vorzug gegenüber der Literatur gab, hinterlässt Eindruck bei Bowles. Er lernt sich selbst und seine kulturellen Voraussetzungen im Spiegel des Fremden neu wahrzunehmen. Hier liegt die Magie seiner Reiseberichte, die tief in den Geist des jeweiligen Ortes eindringen. Nichts als Verachtung hatte Bowles hingegen für die jungen amerikanischen Touristen übrig, die nichts im Sinn hatten, außer sich mit den Schecks aus dem Kriegsveteranenministerium in entlegenen Welten ein schönes Leben zwischen Hippietum und Haschischkonsum einzurichten. Bowles suchte stets nach dem Authentischen und fand es in der „Taufe der Einsamkeit“ – absolut großartig! Er starb im letzten Jahr des letzten Jahrtausends in Tanger.

Stewart Home – Blow Job

Die große Zeit der Subkulturen ist vorbei. Egal ob bei Nischenbands aus der Punk- oder der Metalszene, der Anteil von alten Säcken bei Konzerten ist enorm und man fragt sich: Wo ist die jugendliche Frische, die große Auflehnungs- und Rebellionslust? Es scheint so, als würde der Mainstream alles in einem gigantischen Maelstrom in sich aufsaugen und vermarktungsfertig wieder ausspucken. Diese Tendenz lässt sich gut auf die politischen Lager übertragen, wo es in Zeiten der Transparenz jeder gerne jedem recht machen würde und Aktivismus nur noch selten etwas mit lässigem Rowdytum zu tun hat.

Ganz anders allerdings im Großbritannien der 1980er und 90er Jahre. Zwischen linken Splittergruppen wie „The Church Of Valerie Solanas“ oder der Proletariervereinigung „Nihilist Alliance“ und den Nazis „The White Seed Of Christ“ fliegen in den Straßen Londons regelmäßig die Fäuste. Es geht hoch her in dem 1999 erschienenen Roman „Blow Job“ des Briten Stewart Home, der sich dabei als profunder Kenner der Subkulturen und ihrer ideologischen Prämissen erweist. Home bewegt sich in diesem Stoff problemlos und außerordentlich authentisch. Logisch, denn er selbst war politischer Aktivist und wechselte seine Überzeugungen regelmäßig, denn die Lust an der Provokation war sein größter Antrieb. Wir sind also mittendrin, wenn drei Frauen der Nazi-Szene darauf angesetzt werden, sich mit Blowjobs im linken Milieu hochzuarbeiten, um eine Person ausfindig zu machen, dessen „arischen Samen“ vor seiner Exekution noch gerettet werden soll. Man mag es kaum glauben, aber der ganze Roman ist noch rauer und kurioser als es hier ohnehin schon anklingt. Absolute Empfehlung für diejenigen, die sich im Dämmerlicht der Gosse wohlfühlen.

Ernst Wiechert – Das einfache Leben

In der Zuschrift eines Lesers wurde für diese Reihe die vermehrte Vorstellung von Klassikern gefordert, und nach der Entgegnung ob Huxley denn nicht Klassiker genug sei, wurde deutlich, dass konservative Klassiker gemeint waren. Nun gut, die Entscheidung fiel rasch, der Griff zum Bücherregal ebenso. Wenn es sich bei Ernst Wiechert zwar grundsätzlich um einen Autor handelt, den man eher bei kühleren Temperaturen genießen sollte, lohnen sich die Mühen allemal.

„Sie seufzte vor Glück und ließ die Ruder sinken. Sie wußte, daß sie träumte, aber nur die Bilder waren ein Traum. Der Boden, auf dem sie wuchsen, war ganz wahr: der Glaube an das Zuverlässige des Lebens, wenn man gehorsam war, das Bleibende der Erde, die sie trug, und daß die Liebe stärker war als alles Schicksal.“

Nach seiner Entlassung aus dem KZ in Buchenwanld im Jahr 1939 schreibt Wiechert sein zum Klassiker avanciertes Werk „Das einfache Leben“, in dem er ausgehend von dem Bleibenden der Erde und der Zuverlässigkeit des Lebens die Möglichkeit eines neuen Anfangs skizziert. Ein ausgeschiedener kaiserlicher Marinekapitän sucht in der Nachkriegszeit abseits der Großstadt nach einem neuen Leben. Er durchquert dabei Polen und landet schließlich in Ostpreußen, der angestammten Heimat Wiecherts. Jenseits von Minimalismus und Aussteigertum, die doch immer Teil des abstrakten nihilistischen Systems bleiben müssen, entsteht, gestützt auf ein frohes Herz, eine neue Ordnung. Innere Emigration heißt also der Rückzug von der Politisierung des Alltags und ein Blick hinter die trügerische Fassade des Wohlstands.

Leif Randt – Schimmernder Dunst über CobyCounty

Der geneigte Leser wird den Namen Leif Randt wohl zuerst mit seinem durchaus kreativen Science-Fiction Roman Planet Magnon verbinden. Einige Jahre zuvor hatte Randt jedoch das erzählerisch deutlich bessere Werk mit dem Titel „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ vorgelegt, nur ein Jahr nach seinem Debüt. Seitdem gilt Randt als einer der vielversprechendsten jungen deutschen Autoren. Erprobt hatte Randt sein Können bereits im sogenannten „Jungen Salon“, wo unter anderem auch Simon Strauss regelmäßig verkehrte.

In der fiktiven Stadt Coby County gibt es keine Probleme, meist scheint die Sonne, soziale Brennpunkte existieren nicht und das Leben ist unbeschwerlich. Doch gerade hier liegt der größte Trugschluss, den Randt mit einer seichten Sprache umkreist, die sich wie Nebel um die Alltäglichkeiten der Protagonisten legt. Eine Existenz voller Unverbindlichkeiten und einer sorglosen Lebensführung führt nicht zum Glück, sondern durch unablässige Präsenz des selbigen zum genauen Gegenteil, zur Vereinsamung und zur Seinsvergessenheit, die wir in der fiktiven Touristenhochburg erleben. Coby County zeigt sich uns daher als eine karikierte Spiegelung unserer Gegenwart, bestimmt durch totale Beliebigkeit. Unnötig ist es nicht zuletzt deshalb, an dieser Stelle weitere Ausführungen über den Inhalt anzuführen, denn dieser gar nicht ganz so Science-Fiction-mäßige Roman gewinnt nicht durch seine Erzählung an Kontur, sondern durch das präzise Setting der Lebenswelten.

Szczepan Twardoch, Wale und Nachtfalter

Szczepan Twardoch ist der polnische Literaturstar, angepriesen als die große Hoffnung aus dem östlichen Nachbarstaat erhielt er viel Anerkennung für seinen preisgekrönten Roman „Der Boxer“. In Polen ist seine Anhängerschaft groß, trotz seiner umstrittenen Aussagen über die rechtskonservative Regierungspartei, die er einerseits zwar kritisierte, aber auch für ihre Sozialpolitik lobte. Ebenso groß ist infolgedessen aber auch seine Gegnerschaft, die, gleichwohl wie in Deutschland, keine Nuancierungen mehr kennen will. Größere Vorfreude auf seine Tagebücher erzeugte auf mich allerdings sein aus der Zeit gefallenes, dandyhaftes Auftreten, das er in Interviews stets mit klugen Bemerkungen untermauert.

„So eine Nacht stumpft ab und schärft zugleich. Stumpft mich ab, schärft die Welt. Kratzendes Bettlaken, feuchte, muffige Luft, die Welt stinkt, das Licht aus dem Kühlschrank, aus dem ich nichts herausnehme, brennt mir ins Gesicht, ich stehe nur da und gucke, wie das Selleriekraut in der beschlagenen Tüte welkt.“

An sein Tagebuch „Wale und Nachtfalter“, das Reiseanekdoten, Betrachtungen und Gedankensplitter vereint, hatte ich dementsprechend eine recht hohe Erwartungshaltung, die letztlich nur enttäuscht werden konnte. Auch wenn Twardoch die Welt intensiv beobachtet und sich zu sehr privaten Bildern hinreißen lässt, wirken die Aufzeichnungen letztlich etwas zu statisch, ihnen fehlt die Lebendigkeit. Glücklicherweise folgt aus diesem Umstand keine mangelnde Tiefgründigkeit, denn die kann man Twardoch wahrlich nicht vorwerfen. Von den den Phänomenen der Welt ist er aufrichtig ergriffen, und dieser Umstand allein macht ihn zu einem aufstrebenden Talent des zeitgenössischen Literaturbetriebs.

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