Seitensprung (1)

Seitensprung: Gegen die abendliche Leseunlust im Bett! Die intime Buchberatung, auch für Paare!

Jeden Monat eine kleine Auswahl an Büchern, darunter: Neuerscheinungen und Klassiker, Vergessenes und Populäres, Hochkultur und Gosse.

Heinz Strunk – Das Teemännchen

Komödiant, Botho Strauß-Leser, Bestseller-Autor, Trinker – In der Tat gäbe es reichlich Möglichkeiten Heinz Strunk vorzustellen, doch keine dieser Möglichkeiten will sich so richtig erschöpfen, dafür hat sich Strunk selbst als zu vielschichtig erwiesen. Spätestens seit seinem Megaerfolg „Der goldene Handschuh“ genießt der Hamburger aber auch einen so hohen Bekanntheitsgrad, der jegliche Einführung überflüssig macht. Jüngst lief die Verfilmung seines Bestsellers im Kino an. Wer vom dem Trailer zum Film irritiert und verstört zurückgelassen wird, sich zugleich aber dem gewissen Reiz des Ekels nicht entziehen kann, ist bei der Kurzgeschichtensammlung „Das Teemännchen“ an genau der richtigen Adresse. Diese möchte Strunk übrigens als Fortsetzung von Botho Strauß „Passagen und Passanten“ verstanden wissen.

Strunk taucht in der Vielzahl von Geschichten in die Abgründe menschlichen Daseins ein und beweist sein feinsinniges Gespür für Typen und gesellschaftliche Phänomene der spätliberalen, sinnbefreiten Gesellschaft – und das ganz ohne Soziologiestudium! Ob in der Provinz von Sachsen-Anhalt, in einem Modehaus auf der Suche nach dem passenden Fred Perry-Shirt oder in einer versifften Frittenbude, eines ist klar: überall herrscht Depression. Die Individuen sind verdammt, mit Sicherheit läuft ihre Frist schon bald ab. Erträglich wird das Leben also nur durch gehässigen Sarkasmus und eine saftige Prise Humor, und in der Tat beherrscht Strunk diese Stilelemente wirklich hervorragend. Ich lag stellenweise unterm Tisch!

„Er gerät in Panik, als sich der spackige Duschvorhang immer wieder um seine Beine wickelt.“

Heinz Strunk, Das Teemännchen, Rowolth 2018. 20,00€

Jörg-Uwe Albig – Zornfried

Eine bestimmte Lesergruppe kennt mit Sicherheit die Gespräche über Politik und Weltanschauung, in denen man dem gegenübersitzenden Gesprächspartner vergeblich versucht ein Lebensgefühl zu vermitteln, das er niemals haben und somit auch nicht verstehen wird. Dieses Lebensgefühl, das einen zumeist in die Nähe von Begriffen wie Wahrheit, Ewigkeit und Transzendenz bringt, kann gemeinhin auch als ein rechtes Lebensgefühl verstanden werden. Regelmäßig unternehmen bundesrepublikanische Journalisten also den Versuch diesem Lebensgefühl nachzuspüren und es zu entlarven, ein ernsthafter Versuch findet dabei aber nur selten statt. Einen solchen liefert jetzt aber der Publizist und Schriftsteller Jörg-Uwe Albig mit seinem jüngsten Roman „Zornfried.“ Dass die Rezensenten der großen deutschsprachigen Presse das Buch nur als Satire lesen können, liegt in der Natur der Sache.

Auf der Burg Zornfried, die im tiefsten Wald des Spessartgebirges liegt, sammelt sich eine Gruppe rechtskonservativer Vordenker und Publizisten um den fiktiven Dichter Storm Linné. Sie bilden eine Art elitären Zirkel, zu dem nur derjenige Zutritt erlangt, der die tatsächliche Strahlkraft der Gedichte Linnés aufgenommen hat und weiterträgt. Jedes Kapitel des kurzen Romans wird zudem von einem Gedicht Linnés begleitet, das meist auch in direkten Zusammenhang mit dem jeweiligen Inhalt steht. Die Gedichte sind stilistisch sehr stark an die von Stefan George angelehnt, sie stammen allesamt von Albig selbst. Die Gedichte sind nicht großartig, aber man merkt, dass er sich Mühe gemacht hat und somit einen aufrichtigen Versuch unternommen hat, auf die Suche nach dem Geheimen Deutschland zu gehen. Auch der Protagonist gerät im Laufe seiner Recherchen in große inhaltliche Nähe zum Dichter selbst.

Dieses Buch ist mehr als die Satire auf das rechtskonservatives Milieu, aber leider auch nicht viel mehr. Dennoch recht kurzweilig und unterhaltsam.

„Ich spürte mein schnelles Herz, die feuchten Hände, das flaue Loch im Magen. Es war keine Angst, eher eine Erregung, die sich vage anfühlte wie eine Sehnsucht, das Verlangen nach unbekannten Händen, nach einem fremden Körper der keinen Namen hatte, kein Geschlecht und keine Gestalt, der mit mir nichts gemein hatte als die Zugehörigkeit zur menschlichen Art, und womöglich nicht einmal die.“

Jörg-Uwe Albig, Zornfried, Klett-Cotta 2019. 20,00€

T.C. Boyle – Das Licht

Im knappen Zweijahresrhythmus Bücher zu veröffentlichen sollte zunächst einmal verdächtig erscheinen. Wer so viel schreibt kann nur ein Blender sein, so die naheliegende Vermutung. Allerspätestens seit „Hart auf Hart“ ist aber klar, dass T.C. Boyle explizit als Ausnahme genannt werden muss. Er schafft es tatsächlich in jedem seiner Werke ein Thema mit der gewissen Tiefe und Genauigkeit zu behandeln. So auch in seinem jüngsten Werk „Das Licht“. Es ist eine Reise zu den Anfängen der Popularisierung des LSDs und somit auch der Hippie-Zeit. Der Entdecker des LSDs höchstpersönlich, namentlich Albert Hofmann, findet mit seinem weltberühmten Bicycle Day Einzug in den Roman. (Dieser wird heute übrigens in der GOA- und Technoszene ausgiebig gefeiert.)

Nichts geringeres als die Revolution des Bewusstseins ist das Ziel der jungen Gruppe von Akademikern, die sich um den Harvard Professor Leary versammeln. Sie experimentieren mit der bewusstseinserweiternden Substanz LSD und drängen in ungeahnte Bahnen des Geistes vor. Auf der Suche nach Transzendenz versuchen sie mittels der Droge eine neue Religion zu formen, die auf einer herrschaftsfreien Gemeinschaft gründet. Recht schnell wird jedoch klar, dass auch das Wundermittel LSD nicht in der Lage ist alle irdischen Probleme und Begierden zu verdrängen. Boyle reißt uns mit seinem lebendigen Schreibstil wirklich erschreckend nah an die Ereignisse heran. Man will selbst Teil der Gruppe werden, Grenzerfahrungen erleben und vor allem diese unheimlich gut skizzierten Drogenerfahrungen erleben – aber genau dafür liest man ja schließlich das Buch. Drogenbegeisterte und Boyle-Liebhaber kommen ganz bestimmt auf ihre Kosten.

T.C. Boyle, Das Licht, Hanser 2018. 25,00€

Gottfried Benn – Der Ptolemäer

Im Netz und vor allem bei Twitter fungiert der Dichter und Essayist Gottfried Benn oftmals als die reine Zitateschleuder. Klar ist er durch sein pointiertes Formulieren bestens dazu geeignet, man sollte allerdings auf der Hut sein und sich nicht über die Tiefe seines Schaffens hinwegtäuschen lassen. Also heißt es sich neben den Morgue-Gedichten und den zwei Dingen (die Leere und das gezeichnete Ich) auch einmal Benns Prosa zu widmen. In diesem Fall den Stücken „Weinhauswolf“ und „Der Ptolemäer“, die neben einem äußert lesenswerten Vorwort von Uwe Tellkamp und weiteren kleine Schriften in einem dünnen, aber intensiven Bändchen versammelt werden. 

Beeindruckt von dem entfesselten Vernichtungspotential der Moderne betrachtet Benn den Untergang der abendländischen Zivilisation mit dem „Blick der distance“ (Helmut Lethen). Und hier liegt auch der Schlüssel zum Verständnis Benns. Das Gebot der Stunde lautet: abstandhalten. Denn nur so kann man sich auf dialektischer Art den großen gesellschaftlichen Zerwürfnissen entziehen und die schöpferische Spannung des Ichs aufrechterhalten. Empfehlenswert für Nihilisten und diejenigen, die keine mehr sein wollen.

In diesem Sinne:

„Aus mir spricht die Zersetzung, wurde mir öfters erwidert. Nein, antwortete ich, solange ich noch antwortete, aus mir spricht der abendländische Geist, der ist allerdings die Zersetzung des Lebens und der Natur, ihre Zersetzung und ihre Neusetzung aus menschlichem Gesetz, jenem anthropologischen Prinzip, das die Wasser von der Feste schied und die Propheten von den Narren.“

Gottfried Benn, Der Ptolemäer, Klett-Cotta 2011. 10,00€.

 

Henry Miller – Wendekreis des Krebses

Wenn man Miller liest juckt es einen förmlich am ganzen Körper. „Wendekreis des Krebses“ ist das wohl berühmteste Werk von Miller und zugegebenermaßen auch das erste, das ich von ihm in die Hand nahm. Pikant ist, dass das 1934 in Frankreich erschienene Werk bis in die 1960er Jahre in dem Heimatland Millers, den USA, nicht gedruckt werden durfte. Im Zuge der sogenannten „Sexuellen Revolution“ lockerte sich dann langsam der Umgang mit Millers Roman, der bis dahin allerdings schon längst Kultstatus erlangt hatte. So hart es klingt, man kann den Versuch diesen Roman zu verbieten nachvollziehen. Wie Krätze muss dieser Roman auf den bornierten und konservativen Literaturbetrieb gewirkt haben. Ganz bewusst wollte Miller diesen Betrieb aber auch herausfordern, denn „jeder mit den Klassikern vollgestopfte Mensch ist ein Feind der Menschheit.“

Doch der „Wendekreis des Krebses“ hat weit mehr zu bieten als stumpfe Provokation, Obszönitäten und das maximale Überspannen von gesellschaftlichen Tabus. Obgleich damals der Bruch von Tabus durch Sexualität anders als heute tatsächlich noch eine authentische  Provokation darstellte. In teils fragmentarisch gehaltenen Tagebucheinträgen vermischen sich sexuellen Erfahrungen mit philosophischen Reflexionen, den Rahmen für diese Überlegungen bietet zumeist das Alltägliche. Miller ist berechtigterweise selbst zu einem der von ihm so verhassten Klassiker geworden. Gehört in jedes Regal.

Henry Miller, Wendekreis des Krebses. Volk und Welt, 1962. Antiquarisch.

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