Rolf-Peter Sieferle: Fortschritt versus Zukunft

Die Konflikte um das Thema Ökologie lassen sich nicht verstehen, wenn man nicht begreift, daß die moderne Ökobewegung nur durch ein Auseinanderbrechen des Begriffs- und Erfahrungsfelds des Fortschritts zustandegekommen ist. Medizin aus der Sieferle-Apotheke hilft aktualitätsfixierte Sicht auf das Thema Ökologie zu entschleiern.

„Sozialschmarotzer“, „Wohlstandsverwahrlosung“, „geisteskranke Ideologie“, „Abgehängte der Gesellschaft“, „Siff People“, „Linksextremisten“. Die Debatte um den Hambacher Forst zeigt die völlige Unfähigkeit auf Seiten vieler Konservativer, sich unaufgeregt und vor allem mit Kenntnis der eigenen Geistesgeschichte dem Thema Ökologie zu widmen, die auch Lutz Meyer in seinem Anstoßartikel zur ökologischen Frage feststellte. In den Leseempfehlungen wies er auf den Historiker Rolf-Peter Sieferle hin, der in seinem Buch Epochenwechsel 1994 die „Fronten der Umweltpolitik“ beschrieben hatte. Bereits in den 1980ern war er Pionier auf dem Gebiet der Umweltgeschichte.

In seinem Buch „Der unterirdische Wald“ analysierte Sieferle 1982 den Übergang aus dem solaren Energiesystem der Vormoderne hin zu den fossilen Energiequellen des Industriezeitalters und verwies nicht nur gleichzeitig auf deren Endlichkeit sondern auch auf die „kolossale Beschleunigung der Materialumsätze“ während der Phase unseres „kurzen fossilen Intermezzos“. Mit dem Hintergrundwissen über die lange Dauer von Entwicklungen machte er bereits damals deutlich, „daß auf der Basis des Gebrauchs fossiler Energieträger prinzipiell keine Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur möglich ist, die sich längerfristig stationär reproduzieren ließe.“ Die Partei Die Grünen war damals gerade zwei Jahre alt.

Für die aktuelle Fragestellung und die Bewußtwerdung des eigenen Standpunkts ist allerdings sein zwei Jahre später erschienenes Buch „Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart“ noch wichtiger. Sieferle beschreibt das Verhältnis von Fortschrittsgläubigkeit und Technikkritik sowie die Erfahrungswelten, die mit der fortschreitenden Industrialisierung und Technisierung verbunden waren.

Das Themenspektrum ist breit gefächert, von der Naturverklärung der Romantik über die Maschinenstürmer, vor allem in England, die bürgerliche und konservative Fortschritts- und Technikkritik bis zu Blut-und-Boden-Phantasien und dem Widerspruch zwischen der nationalsozialistischen Ästhetisierung eines vermeintlich reinen Naturzustands und der Umsetzung von naturzerstörerischen Mammutplänen (Autobahnbau, Meliorationen, Bau von militärischen und Industrieanlagen).

Besonders interessant allerdings ist das letzte Kapitel des Buches, in dem sich Sieferle den „Neuen Protestbewegungen“ widmet und grundsätzliche Veränderungen im Verhältnis von politischer Positionierung und Technik- und Fortschrittskritik sowie Umweltpolitik festhält.

Wird Umweltpolitik heute, zumal in den digitalen Abgründen, oft vorrangig als Thema der Linken wahrgenommen, war das bis weit in die 1970er, ja sogar 1980er Jahre (Herbert Gruhl und Baldur Springmann waren immerhin an der Gründung der Grünen beteiligt) längst nicht ausgemacht. Heutige Konservative gehen an dieser Stelle dem Narrativ der Linken auf den Leim. Zu Beginn der 1970er Jahre hatte die Linke noch erhebliche Probleme mit der aufkommenden Umweltthematik. Irritiert reagierte sie auf die Veröffentlichungen des Club of Rome, die auf „Grenzen des Wachstums“ hinwiesen. Die Linke wähnte sich bis dahin im Wissen um den Inhalt der Geschichte, glaubte zwar an ein Ende des Kapitalismus, aber war nicht bereit dieses auch mit einer erheblichen Krise des Industriesystems selbst gleichzusetzen.

Linke Zeitungen waren damals „noch voll von Artikeln […], in denen es um „Staatsableitungen“, Klassenanalysen, Imperialismustheorien und Organisationsfragen ging. […] Es gelang schließlich durchaus, den ökologischen Komplex nachträglich in den Marxismus einzubauen“, auch wenn dazu Begriffe neu definiert und erst entsprechende Zitate bei den Klassikern gefunden werden mußten, so Sieferle. Auch die Vorläufer der Umweltbewegung, der Anti-AKW-Protest, wurden unter Linken eher als Ausdruck „kleinbürgerlicher Zurückgebliebenheit oder als Ergebnis der Machenschaften von Ölkonzernen interpretiert, die um den Verlust von Absatzmärkten bangten“. In der Aneignung der Protestbewegung mußte die Linke nicht selten eigene fundamentale Positionen revidieren, unter anderem ihren utopischen Fortschrittsglauben, jedenfalls in technischer Hinsicht.

Auf konservativer Seite war die Kapitalismuskritik und damit auch die Technik- und Fortschrittskritik mit dem Nationalsozialismus weitgehend verschwunden. Die Bezugspunkte waren verlorengegangen, bezog sich der romantische Antimodernismus doch auch immer auf eine traditionelle Volkskultur. Selbst im Nationalsozialismus, der die völkische Utopie völlig übersteigerte, sorgten Massenorganisationen und ein auch im NS-Staat „bruchlos weiterwirkender Amerikanismus“ mit einem großen „Angebot an Konsum- und Zerstreuungswerten“ (vgl. Hans-Dieter Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein) für die Einebnung des Milieus des traditionellen Konservatismus.

Konservative akzeptierten die Wirklichkeit nun unhinterfragt und stellten sich sogar hinter eine weitere technische Veränderung, auch wenn sie die Überstürzung der Veränderung auf linker Seite und besonders in gesellschaftlichen Fragen weiterhin kritisierten. Sie richteten sich in einer Position der Mitte ein, so Sieferle, aus der heraus sie linke Beschleunigung als auch „rechte Bremsversuche“ kritisierten: „Der technokratische Konservative kämpft nicht länger für Denkmalschutz, für die Erhaltung einer natürlichen Umwelt, die Rettung regionaler Eigentümlichkeiten.“

Um den Rollentausch zu verdeutlichen, zitiert Sieferle Armin Mohler: „Die Linke hat so mit den Konservativen die Rolle getauscht. Sie, die sich so lange im avantgardistischen Glanze sonnte, hat nun die Rolle der Maschinenstürmer und damit der ‚Nachzügler der Weltgeschichte‘ übernommen. Die Konservativen aber hat ihr Widerstand gegen mutwilliges Zerstören unversehens auf die Seite der Industriegesellschaft gedrängt, der sie so mißtrauisch gegenübergestanden waren.“ (Mohler, Armin: Der Konservative in der technischen Zivilisation. In: Von rechts gesehen. Stuttgart 1974.)

Die neuen Ökologiebewegungen entstammten ebenfalls nicht programmatischen Visionen, sondern seien selbst das Resultat einer „sozialen und kulturellen Desintegration“, so Sieferle. „Der Wunsch nach Dezentralität und Heterogenität, die Aversion gegen Bürokratie und Industriesystem entspringen einem diffusen Selbstbewußtsein, das sich auch in einer ideologischen Zerrissenheit ausdrückt.“ Den neuen Bewegungen ginge es um die Abkoppelung des technischen und ökonomischen Fortschritts vom politischen und sozialen.

Dieser Widerspruch auf beiden Seiten hat sich im Prinzip bis heute gehalten. Während Konservative und Rechte heute im gesellschaftlichen und staatlichen Bereich auf die Einhaltung und Wahrung konservativer Prinzipien pochen, sind sie selten bereit, eine ernsthafte Diskussion über die (Umwelt-) Kosten des Wohlstands und Alternativen zur Konsumgesellschaft nachzudenken. Auf der Linken finden die Umweltthemen dagegen häufiger einen Platz. Allerdings ist auch dort eine geradezu bewundernswerte Technikgläubigkeit zu finden, wenn mit aller Ernsthaftigkeit angenommen wird, man könne eine hochindustrialisierte Region wie Mitteleuropa ohne Wohlstandseinbuße und Verzicht allein aus alternativen Energiequellen versorgen, bzw. das aktuelle Konsumniveau aufrechterhalten.

Nicht nur der rechten sondern auch der linken Seite sei daher abschließend der theorie- und faktenreiche Essay „Immer weniger vom Mehr. Das Ende der Reichlichkeit“ von Thomas Hoof ans Herz gelegt (TUMULT Sommer 2018), um sich von den in naher Zukunft auf uns zukommenden Problemen einen Eindruck zu verschaffen.

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