Rauhe Felsen, Fjorde und harte Männer

Berge, Täler, Wiesen, Gipfel – Nicht nur der norwegische Dichter Ivar Aasen (und später das Fenriz-Projekt Storm) huldigte der norwegischen Landschaft. Auch südliche Flachländer zieht das Land immer wieder in seinen Bann.

Mellom Bakkar og Berg ut med Havet
heve Nordmannen fenget sin Heim,
er han sjølv hever Tufterna gravet
og sett sjølv sine Hus uppaa deim. [1]

Also: Koffer ins Auto wuchten, den Elbtunnel hinter uns lassen und gemütlich bei 110 km/h durch Dänemark tuckern (Dänemark ist übrigens kein Land, sondern eine etwas größere Wiese mit Strand in Ost und West). Kurz vor der Fähre dann der erste, noch immer tiefsitzende Schock für mich als homo bundesrepublicanensis: Die Norweger wollen tatsächlich unsere Ausweise sehen und haben keine für jedermann offenen Grenzen. Wie zurückgeblieben, ewiggestrig, abschottungswütig diese Nordmänner sein können, skandalös! Die Mär vom progressiven und sozialdemokratischen Umverteilungsparadies wäre damit wohl schon erledigt.

Die Hauptstadt Oslo steht als erstes auf dem Programm und liegt nur knappe zwei Stunden vom Fährhafen entfernt. Trotz grauen Wolkenschleiers präsentiert sich die Stadt von ihrer besten Seite: Hier und da restaurierte Jugendstilfassaden, Kopfsteinpflaster und kleinere Parkanlagen zieren die Wohnviertel neben hippen Cafés und Restaurants. Auffällig: Gefühlt jedes zweite Auto ist entweder ein Tesla oder ein Elektromobil eines anderen Herstellers. Auf diesem Gebiet ist Norwegen die Nr.1, und es gibt schon heute deutlich mehr Autos als öffentliche Steckdosen zum Akkuladen. Wer ein E-Auto fährt, zahlt keine Steuern und darf außerdem überall kostenlos parken. Sehenswert ist auch die 2008 eröffnete Oper im Osloer Hafenbecken, die architektonisch einem Eisberg ähneln soll. Steht man auf dem durch die Schrägen leicht zugänglichen Dach, offenbart sich einem die atemberaubende Bauwut, denn ringsum erspäht man nur noch Kräne, Gerüste, LKW’s und schwitzende Arbeiter. Auch der Norden bleibt vom Modernisierungswahn nicht verschont, und auch im kleinen Finanzdistrikt mit Blick auf den Oslofjord dominieren schon heute Glas und Stahl.

Neben dem Königlichen Schloss im Zentrum der Stadt bleibt der Vigeland-Park der wohl beeindruckendste Ort der Nordmetropole, ein absolutes Must-See! Die unzähligen Stein- und Bronzeskulpturen des bekanntesten norwegischen Bildhauers Gustav Vigeland versprühen durch ihre schlichte Körperlichkeit den besonderen Reiz der Anwesenheit und Endlichkeit, die vor allem in der obeliskartigen Skulptur im Zentrum des Parks erfahrbar wird. Hier schlingen sich dutzende der steinernen Körper in- und umeinander und erzählen so die Geschichte eines Menschenlebens von der Wiege bis ins Grab. Großartig!

Doch raus aus der Stadt, hinein in die Weiten des Landes! Der Märkte Geschrei hinter uns lassend geht es auf hervorragend beschaffenen Straßen gen Norden. Vorbei an Hügeln, Bergen, Flüssen und ungezählten Wasserfällen rauschen wir mit ständig heruntergeklappten Kinnladen das Land hinauf. An der märchenhaften Schönheit der norwegischen Natur kann man sich einfach nicht sattsehen, und so folgt auf ein „Wow! Sieh mal da!“ ein „Wir müssen hier unbedingt anhalten!“. Wer kennt nicht das Gefühl, wenn der Fotoapparat mit der Hand verwächst und der Zeigefinger vom ständigen Knipsen glüht! Doch auch zum Genießen und Innehalten finden wir genügend Zeit in einem Land, in dem selbst ein simpler Rastplatz am Wegesrand beinahe meditative Stille und Genügsamkeit versprüht. Besonders hübsch anzuschauen sind die vielen, teils sehr alten Stabkirchen, die Elemente des sich im Norden ausbreitenden Christentums mit heidnischen Traditionen verbinden.

Auch auf dem Papier scheint Norwegen ein wahres Paradies zu sein: Keine Staatsverschuldung, ein intaktes Sozialsystem, Ölreichtum, wenig Kriminalität und ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und gegenseitigem Vertrauen. Norwegen ist sicherlich eines der lebenswertesten Länder der Erde, doch gerade die ausgewanderten Deutschen, die ich kennenlernen durfte, haben im persönlichen Gespräch teils derbe vom Leder gezogen. Meckern und Klagen auf höchstem Niveau, das versteht sich bei uns ja von selbst. Mit den handwerklichen Fertigkeiten norwegischer Arbeiter sei es nicht weit her (es gibt kein einheitliches Ausbildungssystem), und ähnlich sehe es mit staatlicher Bürokratie und Erbsenzählerei bei Kleinigkeiten aus. Besonders bizarr ist die Tatsache, dass man z.B. den Namen seines Arbeitskollegen oder Nachbarn „googlen“ kann und dann erfährt, wie viel Geld derjenige im vergangenen Jahr verdient hat! Ganz zu schweigen von horrenden Strafgebühren für Falschparken und Geschwindigkeitsüberschreitungen. Wer geblitzt bzw. angehalten wird und die Strafe nicht sofort bezahlen kann, dem wird auf der Stelle das Fahrzeug (!) eingezogen und erst wieder ausgehändigt, wenn die Rechnung vollumfänglich beglichen ist. Ein weiterer nicht zu unterschlagender Aspekt sind die teils absurd anmutenden Preise, insbesondere für Lebensmittel und Luxusgüter. Ein norwegischer Bekannter brachte es bei einem Besuch auf den Punkt:

Norway is a great country as long as you’re not trying to have fun!

Wer abends vorm Ofen ein leckeres Bier trinken möchte, muss ganz tief in die Tasche greifen, denn umgerechnet zahlt man für eine Dose Heineken (0,33l, versteht sich) fast 4 Euro. Nach 18 Uhr werden vor den Bierregalen im Supermarkt die Schotten dichtgemacht, und Hochprozentiges gibt es ohnehin nur im staatlichen „Vinmonopolet“. Bezahlt wird in Norwegen fast ausschließlich mit Karte, was mich als Bargeld-Liebhaber etwas missmutig stimmt, und auch sonst hat man im Gespräch mit Einheimischen den Eindruck, ein gläserner Bürger zu sein. Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass auch in kleineren Städtchen der Drogenhandel blühe; da werde einem in Kneipen und Bars von weichen Drogen bis Heroin so ziemlich alles angeboten, was der Markt hergibt.

Doch zurück zu den angenehmen Seiten, widmen wir uns wieder der atemberaubenden Flora und Fauna. Der nächste Halt ist die „Vogelinsel“ Runde, die für ihre Artenvielfalt bekannt ist und unter anderem Papageitaucher beheimatet. Nach kurzer aber anstrengender Wanderung erklimmen wir den höchsten Punkt und vor uns tut sich das Meer auf, während schneeweiße Bergkämme im Hintergrund das majestätische Bild vervollkommnen. Der starke Wind fegt uns fast die Klippen herunter, doch die Aussicht lässt unsere wanderlustigen Herzen höher schlagen.

Unser nächstes Ziel ist die malerische Stadt Ålesund, die fast ausschließlich von Urlaubern der riesigen Kreuzfahrtschiffe bevölkert wird und deswegen sehr touristisch geprägt ist. Sei’s drum, dem pittoresken Charme tut das keinen Abbruch. Kleiner historischer Exkurs am Rande: Im Jahre 1904 kam es durch Unachtsamkeit beim Umgang mit einer Petroleumlampe zu einem riesigen Brand, in dessen Folge die Stadt fast komplett niederbrannte. Hilfe kam prompt, und zwar aus Deutschland. Kaiser Wilhelm II., seinerzeit exponierter Liebhaber des Nordens, organisierte und finanzierte den Wiederaufbau zu großen Teilen selbst, weshalb man ihm dort ein Denkmal errichtete und eine Straße nach ihm benannte.

Während der Kilometerzähler Überstunden schiebt, bewegen wir uns langsam aber sicher auf den krönenden Abschluss unserer Reise zu: den Geiranger-Fjord. Der wohl bekannteste Fjord der Welt, den wir über eine kleine Fähre erreichen, begrüßt uns an jenem Morgen zwar noch nicht mit strahlendem Sonnenschein, doch die Wasserfälle der „Sieben Schwestern“ machen auch im nebligen Dunst einen imposanten Eindruck. Im kleinen Örtchen angekommen dominieren wieder Touristen und nach einem kleinen Spaziergang entscheiden wir uns, zum Auto zurückzukehren und dem Fjord sprichwörtlich aufs Dach zu steigen. Die mäandernden Straßenverläufe und die scharfen Kehren in Richtung Berge sind ein Traum und wir sind heilfroh, nicht in den Sommermonaten hier zu sein, in denen man sich mit hunderten Autos und Wohnwagen die Straßen teilt. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter verschönert sich die Aussicht und da wenig los ist, muss der bereits lädierte Zeigefinger seinen Endkampf mit der Kamera bestreiten. Bei der „Djupvasshytta” auf 1038m Höhe angekommen entfaltet sich vor unseren Augen ein zauberhaftes Panorama samt verschneitem Bergsee und eisblauem Himmel. Klare, kalte Luft füllt die Lungen und am liebsten würde man hier verweilen, bis die Sonne wieder untergeht.

Der enge Zeitplan jedoch macht uns einen Strich durch die Rechnung und diktiert uns tags darauf die lange Abfahrt in die Heimat. Gen Süden fahrend erblicke ich abseits der Straße noch einen kleinen Bauernhof, auf dem Dach der größten Scheune prangt in dicken Lettern die Parole „NEI TIL EU“. Wenn da mal den Brüsseler Bürokraten nicht die Knie weich werden! Diesen Gedanken verfolgend lache ich in mich hinein, während sich mein Innerstes mit der widerständigen norwegischen Bauernschaft solidarisiert. Erwartet uns!

Bevor es auf die Fähre Richtung Deutschland geht, machen wir noch einen Zwischenstopp bei der Insel Utøya, die durch die Mordanschläge Anders Behring Breiviks im Jahre 2011 traurige Berühmtheit erlangte. An einem kleinen Bootssteg mit Blick auf die Insel halten wir kurz inne und gedenken der kaltblütig Ermordeten. So neigt sich ein wie immer zu kurzer Urlaub dem Ende zu. Wer das nötige Kleingeld hat, die rauhe Natur des Nordens liebt und zudem über festes Schuhwerk verfügt, dem sei eine Reise in dieses Land ans Herz gelegt. So verlassen wir Norwegen zwar mit leerem Geldbeutel, doch auch mit einem Kopf voller Augenblicke, die sich für die Ewigkeit ins Gedächtnis gebrannt haben.

Tusen takk, Norge!

[1] Ivar Aasen, Nordmannen. Eine Übersetzung findet sich hier, die Vertonung hier.

Alle Bilder: privat

 

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