Psychopillen gegen Gottesfurcht

Vor einem Jahr ist ein interessantes Buch erschienen – und kaum einer kennt es.

Burkhard Hofmann, 1954 geboren, arbeitet seit 40 Jahren als Psychotherapeut und betreibt in Hamburg-Harvestehude seine eigene Praxis. Über arabische Patienten in Hamburg erhielt er Kontakt zu wohlhabenden psychisch Leidenden am Persischen Golf und behandelt nun seit ungefähr zehn Jahren auch gläubige Muslime in deren Heimat. Das Buch „Und Gott schuf die Angst: Ein Psychogramm der arabischen Seele“ umfaßt eine Anzahl von Fallgeschichten. Hofmann läßt uns dabei an seinem Erkenntnisprozeß teilnehmen. Am Ende hält der Leser so etwas wie einen groben Schlüssel in der Hand, der es ermöglicht, hinter dem oft befremdlichen Verhalten junger muslimischer Männer in Europa eine gewisse Logik zu finden, das heißt die Motive hinter ihrem Auftreten in Ansätzen verstehen zu können.

In Deutschland gibt es zwar eine ganze Reihe von Muslimen (und Nichtmuslimen), die die Interessen dieser jäh gewachsenen gesellschaftlichen Gruppe vertreten – „Muslim-Verstehern“ hingegen begegnet man in den Medien kaum. Honi soit qui mal y pense: soll der Bevölkerung doch vermittelt werden, daß der muslimische Glaube so gut wie jeder andere ist und die Bevölkerung ja auch schon lange Zeit mit Andersgläubigen friedlich und manierlich zusammenlebt, so mit Orthodoxen, Juden, Asiaten verschiedener Glaubensrichtungen und nicht zuletzt türkischen Gastarbeitern. Hofmann macht schon im Vorwort deutlich, daß diese Gleichsetzung nicht sachgerecht ist. Nicht nur der sogenannte „Islamist“, sondern auch der „auf fundamentale Weise mit seiner Religion verbundene“ Muslim, der im Laufe der vergangenen vierzig Jahre zum typischen Vertreter des arabischen Islam geworden ist, ist auf unserer Skala in seinem Weltbild nur vergleichbar mit fundamentalistischen christlichen Sekten oder dem ultraorthodoxen Judentum. Hofmann dazu: „Ist einmal der Primat der Religion etabliert, gibt es kaum einen Weg zurück in die gemäßigte Interpretation. Wie soll der Islam auch der Moderne widerstehen, wenn nicht durch eine strenge Auslegung.“

Psyche und Psychologie

Hofmann konstatiert eine für Europa vollkommen ungewohnte und undenkbare Gleichförmigkeit der Symptomatik und Uniformität der Erscheinungen bei seinen muslimischen Patienten am Golf. Aufgrund ihres strafenden Gottesbildes werden Islam-Gläubige vom Wunsch nach Kontrolle, Ordnung und Herrschaft über das eigene Selbst beherrscht. Die Existenz von Unter- und Unbewußtem ist ihnen eine furchterregende Vorstellung.

„Das Seelische ist noch immer selbstverständlich dem Bereich des Spirituellen zugeordnet und damit besonders in seinen Entgleisungen dem Reich des Teufels.“ Wer psychisch leidet, ist nicht nur selbst daran schuld. Ursache kann demzufolge für Muslime nur ein mangelnder Glaubenseifer sein. Der Leidende wird konsequenterweise also immer radikaler im Glauben werden und zudem von Schuldgefühlen geplagt. „Unser hirnphysiologischer Zugang zu den Erkrankungen der Psyche bleibt vielen trotz der Einnahme von Psychopharmaka fremd.“ Die arabischen Ärzte verschreiben Psychopharmaka in Massen und ohne Skrupel, und so sind nicht wenige wohlhabende Golfbewohner medikamentenabhängig, insbesondere Frauen.

Alle arabischen Patienten vereint die Schlaflosigkeit, so Hofmann. Im Schlaf verliert der Mensch die Kontrolle über sich. Es träumt in ihm, was es will. Die innere Zensur kann nicht mehr ausgeübt werden, und man sündigt womöglich im Traum. Angst ist allgegenwärtig. Standartsymptomatik der Ängstlichkeit ist eine Melange von Zwanghaftigkeit und Hysterie sowie ein starkes, immer wieder geäußertes Sicherheitsbedürfnis.

Hofmann beschreibt, daß keiner seiner Patienten – mochten sie noch so anspruchsvollen beruflichen Tätigkeiten nachgehen – zur Objektivierung der eigenen Probleme fähig war, das heißt das Problem wie ein Werkstück vor sein geistiges Auge zu legen und es zu bearbeiten. Symbolfindung als gängiges psychotherapeutisches Mittel dazu war äußerst schwierig zu vermitteln, denn: Distanz ist des Teufels. Das hat zur Folge, daß die Vergangenheit nie abgeschlossen ist. Alle Kränkungen und Verletzungen des vergangenen Lebens bleiben präsent und abrufbar. Konflikte wie z.B. libidinöse schwären im Unterbewußtsein weiter und führen zu Unruhe und Angst.

Koran und Therapie

Inhalt des Korans sind sehr konkrete Handlungsanweisungen, klare Vorgaben und Bewertungen von Gut und Böse. Das schafft Sicherheit, Trost, Geborgenheit und existenziellen Halt. Schreibt man Größe eines Steines bei der Steinigung unterschiedlicher Menschen ganz genau vor, dient dies der Sicherheit und Rechtsverbindlichkeit und gleichzeitig der Abschreckung von Verbrechen bzw. dem, was die Scharia zu solchen erklärt. Moslems glauben an den „bösen Blick“ und an die Existenz des Teufels im Alltagsleben. Der Konkretismus des Islam erschwerte den therapeutischen Prozeß.

Außerdem sitzt immer ein Dritter mit am Tisch von Patienten und Therapeut. „Allah blickt Minute für Minute auf mich herab, und sobald ich etwas Unrechtes tue oder denke, werde ich in der Hölle enden.“ Offenheit und Ehrlichkeit sich selbst und dem Therapeuten gegenüber sind so nicht möglich. Beziehung, Bindung, Intimität, die sich während einer gelingenden Therapie im Westen nahezu automatisch einstellen, hat Hofmann ebenfalls nie erlebt. Bindung verbleibt bei der Ursprungsfamilie; außerhalb dieses Kreises wird keine Möglichkeit für Bindung, Verbindlichkeit, Verläßlichkeit, Geben und Nehmen gesehen. Hofmanns Grundgefühl ist es, vor einer Wand zu stehen. Die Ambivalenz der Patienten, moralisch und religiös überlegen zu sein, aber von dem Unterlegenen Hilfe zu benötigen, erschwerte außerdem eine Verringerung der Distanz. Hilfsbedürftigkeit auf der einen, der stolze Blick nach unten auf ihn herab auf der anderen Seite: Hofmann konstatiert eine strukturelle Ähnlichkeit mit Migrationssituation in Deutschland.

Der Blick auf den Westen

Das Verhältnis gläubiger Muslime zum Westen ist ambivalent: In den Augen der Moslems sind sogenannte Abendländer auf einer philosophisch minderwertigen Position. Es weckt Staunen und Bewunderung, daß der Westen teilweise so erfolgreich ist, obwohl er doch spirituell das falsche Leben lebt. Die Vorstellung der Trennung von Kirche, Glauben und Staat wird als defizitäre Position wahrgenommen.

„Dieses Überlegenheitsgefühl ist unverzichtbarer Bestandteil des Islams… So sprechen die meisten gläubigen Patienten intern nicht von einem Dialog der Religionen, den wir uns so sehr wünschen, sondern nennen diesen Dialog „Einladung“. Das bedeutet, daß sie ihr nichtmuslimisches Gegenüber nicht auf Augenhöhe empfinden“, sondern dieses bestenfalls missionierungsbedürftig halten. Die Relativierung der eigenen Religion als eine von vielen Möglichkeiten hat ja noch nicht stattgefunden und darf auch nicht stattfinden, weil diese Haltung im Kern unislamisch ist. Auf der anderen Seite ist die materielle Seite der westliche Unkultur auch am Golf omnipräsent.

Die Abhängigkeit vom Westen hintertreibt die Selbstwirksamkeit als Gegengift zur Angst. Es gibt einen tief sitzenden Zweifel am eigenen System, der aber nicht formuliert werden und nach außen dringen darf (was zu Angst und Aggressivität führt). Die Defizite, die augenfälligen Mängel im öffentlichen Leben ihrer Heimatländer sind für den stolzen Menschen am Golf kaum zu ertragen. Sie schieben die Verantwortung dafür gern auf andere, besonders auf die westlichen Großmächte. Der reine Opferstatus, den man sich dadurch zuweist, versetzt den Einzelnen in Apathie und Bequemlichkeit.

Europa und der Islam

Es ist ja ein allgemeines Phänomen, daß Glaube und Tradition in einem Exilland weitaus strenger gehandhabt werden als in den Heimatländern – immer dann, wenn keine Assimilierung stattfindet. Hofmann warnt, der europäische Gastkontinent würde sich herzlos verhalten, „wenn wir behaupteten, daß der Islam neben vielem anderen auch eine Quelle des Scheiterns ist, weil er die Anpassung an die Moderne erschwert“. Die Relativierung der eigenen Religion würde dem Heimatlosen noch eine existenzielle Heimatlosigkeit hinzufügen –  denn der Islam ist die letzte unverbrüchliche Quelle von Selbstwert. „Verlangen wir nichts Unmögliches, machen wir uns aber auch keine Illusionen über die Machbarkeit von Integration an Stellen, wo dies schlichte Realitätsverweigerung bedeutet. Der Glaube bleibt für den strenggläubigen Muslim auch in weltlichen Fragen letzte Autorität.“ Die insesondere in Deutschland gehegte Hoffnung auf einen Euro-Islam hält der Psychotherapeut für bestenfalls abwegig.

Er attestiert den Europäern mangelnde Ernstnahme dieser Menschen in ihrem Glauben. „Das Gefühl für eine derartige religiöse Inbrunst ist uns abhandengekommen. Das Einlassen darauf sollte uns aber nicht [davon] abhalten, die richtigen Schlüsse für unser eigenes Gemeinwesen zu ziehen.“  Demzufolge läßt uns nur Empathie adäquat reagieren. Wir sollten nicht versuchen, uns kompatibler zu geben als wir sein können und vielleicht auch wollen. Das Verleugnen des Trennenden hilft nicht bei der Wirklichkeitsbewältigung.

An dieser Stelle tut der Autor etwas Bemerkenswertes: Er formuliert eine Conditio sine qua non, die die Ausführungen in seinem gesamten Buch Lügen strafen würde, wenn sie erfüllbar wäre: Er fordert die Europäer auf, den muslimischen Migranten einen toleranten und wertschätzenden Umgang mit dem Atheismus abzuverlangen, „der alle Glaubensinhalte zu dem erklärt, was sie sind, nämlich gesellschaftliche Übereinkünfte, die sich in der Regel dem diskursiven Verstand und der normalen Erkenntnis entziehen und darin eben Ergebnis einer reinen Glaubensanstrengung sind, die entscheidende Waffe, die alle Religionen relativiert.“ Diese Haltung sollten wir einfordern und „als unsere Überlegenheit preisen“.

Ironischerweise hat Hofmann selbst viele Gründe dafür herausgearbeitet, warum eine solche Toleranz (nicht nur gegenüber dem Atheismus, sondern allen anderen Religionen über) für einen gläubigen Moslem unmöglich zu sein scheint. Fernen ist er der Meinung, wir sollen unsere Toleranz und Indifferenz jedweden Glaubensinhalten gegenüber als „unsere Überlegenheit preisen“. Das hieße, dem einen Überlegenheitsgefühl ein anderes entgegenzustellen. „Toleranz trifft dort auf Schwierigkeiten, wo sie auf das Überlegenheitsgefühl des Gastes, des Flüchtlings, trifft.“ schreibt Hofmann selbst. Hier ist das Paradoxon der Aufklärung mit Händen zu greifen: Keine Toleranz den Intoleranten! Mit unserer Toleranz hätten wir auf jeden Fall die höhere Moral, meint der Westen. Diese nehmen Moslems aber ebenfalls für sich in Anspruch! Und auch sie meinen, Recht zu haben.

Ein Buch, das die linksliberale europäische Wertegemeinschaft in ihrem Weltbild herausfordert. Thesen, die diskutiert gehören, womöglich Verallgemeinerungen, die hinterfragt werden könnten. Leider allerdings wurde das Buch abseits einiger Nischen kaum wahrgenommen, dabei enthält sich der Autor jeder politischen Äußerung und Einordnung.

Literatur:

Burkhard Hofmann, Und Gott schuf die Angst: ein Psychogramm der arabischen Seele. Droemer HC 2018.

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