Chernobyl – Im Rausch des Fortschritts

Als am 26. April 1986 der Reaktor im Block IV des bei Tschernobyl und Prypjat gelegenen Atomkraftwerks „W. I. Lenin“ sein Dach in Trümmer verwandelt, wird innerhalb weniger Tage Strahlung von einigen Trillionen Becquerel in die Atmosphäre abgegeben. Weniger drängend als die Eindämmung der drohenden Folgen ist die Frage, wie es überhaupt zu einer Explosion des Reaktors vom Typ RBMK-1000 kommen konnte. Die Sowjetunion erfährt die Grenze ihres dogamtischen Forttschrittsdenkens.

Die britisch-amerikanische Serie „Chernobyl“, erdacht und konzipiert von Craig Mazin, nimmt ihren Ausgang von den letzten Momenten im Leben des (realen) sowjetischen Wissenschaftlers Waleri Legassow, welcher im Rahmen seiner Leitung des Untersuchungskomitees zur Katastrophe mit der Lösung jener Aufgaben beauftragt wird. Er nahm sich im April 1988, nach der Aufzeichnung eines Tondokuments, in welchem er klare Worte für die Schuldfrage gefunden hatte, in Moskau das Leben.

Das Kernkraftwerk Tschernobyl (Wikimedia Commons).

In fünf Episoden schildert die Serie nicht nur den Vorfall selbst, sondern auch einzelne Schicksale von Personen, die damit in Verbindung standen. So beispielsweise Legassow, der unter Druck seitens des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unentwegt an Lösungsentwürfen arbeitet. Dabei wurde eine Atmosphäre geschaffen, die konstante Spannung aufbaut, obwohl man den Hergang im Grunde kennt. Besonders gut gelungen ist die Darstellung der titanischen Technik, die sich schlagartig der Kontrolle des Menschen enzieht und über ihn hinauswächst.

Ungeachtet der amerikanisch-westlichen Perspektive bietet die Serie ebenfalls ein authentisches Bild kommunistischen Umgangs mit Krisensituationen, welche die nach außen mühevoll propagierte Integrität der Sowjetunion in Frage stellten. Man kann den Vorfall als Einschnitt in der Geschichte des sowjetischen Technikoptimismus bezeichnen, da die Fassade aus offenkundigen Lügen und Beschwichtigungen durch die Propaganda nicht mehr aufrechterhalten werden konnte. Viele Parteibeamte änderten ihre Position zur Fortschrittsideologie, nachdem man zunächst weder an eine Explosion, noch an die von Legassow benannten drohenden Konsequenzen geglaubt hatte.

„Chernobyl“ öffnet uns die Themenfelder der Ökologie sowie der Technik- und Ideologiekritik im Kontext des sowjetischen Selbstverständnisses.Die spannende und authentische Atmosphäre lässt den Zuschauer auch über einige Übertreibungen und Oberflächlichkeiten hinwegsehen.

Der Vorfall vom Frühjahr 1986, der übrigens als erstes Ereignis überhaupt in die Kategorie „katastrophaler Unfall“ der internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse eingeordnet wurde, trägt immer noch große Bedeutung für Fragen der Gegenwart und der Zukunft, die etwa Energie und Naturschutz umfassen. Besonders deutlich wurde dies zuletzt vor acht Jahren durch die Katastrophe des Kernkraftwerks von Fukushima, immer wieder bezog man sich auf Parallelen.

 

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