Im Rausch des Denkens (I): Berlin

Wer redet ist nicht tot? Manchmal gilt: Wer tot ist redet sogar noch viel mehr. Beweis ist das intime Gespräch zwischen drei längst in den ewigen Jagdgründen weilenden Großmeistern des Geistes, Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger, aufgefangen von den Antennen unseres Autors Lutz Meyer. So wie das Leuchten längst erloschener Sterne heute noch sichtbar ist, so ist es mit diesem Gespräch, das überdies unter denkwürdigen Umständen stattfand und gleichzeitig die Tiefen des Rausches auszuloten sich anschickt.

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Begegnungen zwischen Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger, die so nie stattgefunden haben? Was soll das – geben die tatsächlichen Begegnungen der drei nicht genug Stoff zum Nachdenken her? Überhaupt: Kommt es auf Begegnungen an, reicht das Gedachte und Geschriebene nicht aus? Findet hier nicht eine armselige Transformation wesentlichen Denkens ins Komödiantische, Parodistische statt? Wer mag, beschränke sich auf das Reale. Doch reizvoller ist oft das, was über die Realität hinausgeht. Wer hier folgen mag, darf im Übrigen sicher sein, daß wir von einer gesicherten Textbasis starten. Wenngleich wir hier die wörtliche Wiedergabe aus Originaltexten nicht mit letzter Werktreue betreiben und manches hinzudichten, stellen diese doch allesamt die Grundlage eine intensive Lektüre dar.

Daß Ernst Jünger dem Drogengebrauch im Interesse höheren Erkenntnisgewinns aufgeschlossen gegenüberstand, ist durch seine „Annäherungen“, seinen Briefwechsel mit Albert Hofmann und diverse Passagen in seinem Werk hinreichend belegt. Bei Friedrich Georg Jünger lassen einige Gedichte eine entsprechende Experimentierfreudigkeit ebenfalls vermuten. Bei Martin Heidegger hingegen ist anzunehmen, daß er zeitlebens jenseits von Wein und Obstler keine einschlägigen Erfahrungen gesucht hat.

Wer heute, mehr als zwei Jahrtausende nach den Dialogen Platons, Zweifel an der Zeitgemäßheit fiktiver Gesprächsszenarien hegt, sei daran erinnert, daß sowohl Friedrich Georg Jünger („Gespräche“) als auch Martin Heidegger („FeldwegGespräche“) mit dieser Textform experimentiert haben. Der kleine phantastische Ausflug mag bei Verehrern der drei genannten Herren (zu denen ich mich übrigens selbst zähle) Widerspruch auslösen, vielleicht sogar Haßgefühle hervorrufen. Nur zu – die Phantasie lässt sich durch derlei nicht stören.

Hier und dort eingestreute, mit schneller Hand hingeworfene Skizzen beanspruchen keinerlei künstlerische Geltung. Es ging mir nur darum, mit einfachsten gestalterischen Mitteln Stimmungen mehr anzudeuten als exakt wiederzugeben. Die historischen Hintergründe der drei Szenen stimmen im Ungefähren: Die Zeit von Heideggers Rektorat, die Zeit von Jüngers LSD-Trips, die Zeit von Heideggers Auftritt im ZDF kurz nach der Mondlandung. Daß die drei Herren während ihres gemeinsamen Trips weitaus mehr reden als gemeinhin bei solchen Gelegenheiten üblich, ist der Dramaturgie geschuldet.

Und um zu guter Letzt der im Folgenden oft beklagten Verzifferung Tribut zu zollen: Der Anteil der wörtlich wiedergegebenen Passagen aus den Werken der drei Herren liegt bei knapp unter 30 Prozent des textlichen Gesamtumfangs, der Rest ist Interpretation und Hinzuphantasiertes. Wohl bekomm’s!

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E. Jünger: Herr Heidegger, Sie hätte ich hier am allerwenigsten erwartet. Ich hörte zuletzt, Sie hätten der schöpferischen Landschaft des Schwarzwalds ewige Treue geschworen und einen Ruf nach Berlin abgelehnt. Was also treiben Sie hier?

Heidegger: Ähnliches wie Sie vielleicht. Von Ihnen war ja auch zu hören, daß es Ihnen in Berlin nicht mehr so recht gefällt. In welche Abgeschiedenheit hat es Sie doch gleich verschlagen?

E. Jünger: Goslar. Ungebetene Besuche wurden mir in Berlin doch zu häufig – eine allzu große Nähe zum Zentrum der Macht ist heute weder der Kontemplation noch der Sicherheit förderlich.

Heidegger: Parteiprominenz?

E. Jünger: Gestapo.

Heidegger: Ich verstehe. Ich habe in meinen Vorlesungen Spitzel sitzen. Daß das Denunziantentum gerade in der Studentenschaft um sich greift, läßt für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

E. Jünger: Von Studenten ist ohnehin wenig zu erwarten. Ich habe der Alma Mater Adieu gesagt, nachdem ich einige Zeit in den Laboratorien des zoologischen Instituts zu Neapel schmarotzt hatte. Die Versorgung mit frischem Meeresgetier war freilich optimal dort. Die wahren Abenteuer des Geistes findet man aber nur jenseits der Auditorien. Und erst recht den Sprachgeist – nach ihm wird man an den Universitäten vergeblich fahnden! Der Sprachgeist ruht nicht in den Worten und Bildern; er ist in die Atome eingebettet, die ein unbekannter Strom belebt und in magnetische Figuren zwingt. So allein vermag er die Einheit der Welt zu erfassen, jenseits von Tag und Nacht, von Traum und Wirklichkeit, von Breitengraden und Zeiträumen, von Freund und Feind – in allen Zuständen des Geistes
und der Materie.

Heidegger: Für einen verkrachten Studiosos haben Sie es weit gebracht. Zu weit… Sie wollten wissen, warum ich hier bin. Ich las Ihren „Arbeiter“, leider zur Unzeit. Ohne Ihren „Arbeiter“ hätte ich mich auf das Wagnis des Rektorats vielleicht niemals eingelassen.

E. Jünger: Ich kann mich nicht entsinnen, mit dem „Arbeiter“ so etwas wie eine Handlungsanweisung für deutsche Philosophieprofessoren verfasst zu haben. Ich bin nur ein Beobachter – und wohlgemerkt: kein völkischer.

Heidegger: Nun tun Sie doch nicht so unschuldig. Sie sind kein Beobachter, Sie sind ein Verblendeter. Der „Arbeiter“ als Gestalt, als auf die Spitze getriebener Wille zur Macht, als umgekehrter Platonismus. Und ich bin darauf hereingefallen. Habe dort eine wesentliche, geschichtliche Gestalt am Werk gesehen, wo tatsächlich nur Gestalten ihr Unwesen trieben – und zwar trübe, um nicht zu sagen: finstere…

E. Jünger: Auch mir hat dieses Buch nichts als Ärger eingebracht.

Heidegger: Soll mich das trösten?

E. Jünger: Was Ihr Rektorat betrifft – es ehrt Sie, denn es wäre leichter gewesen, es nicht zu übernehmen. Es gibt Irrtümer, zu denen nur große Geister fähig sind. Reden wir doch ein wenig über Technik. Wenn Sie sich diese riesenhafte, geradezu titanische Apparatur in einer menschenleeren Halle ansehen: Hier schlägt das Herz des „Arbeiters“! Insofern diese Gestalt keine menschliche Erfindung ist, sondern als Macht aus dem Ungesonderten hervorgetreten ist, sehen wir hier auch nichts Menschliches am Werk, sondern ein kosmisches Prinzip…

Heidegger: … das Sie gedankenlos bejahen. Herr Jünger, Sie befinden sich, ohne sich dessen bewußt zu sein, im Fahrwasser von Nietzsches Willen zur Macht, den er ja auch nicht subjektiv, sondern als Erhaltungsund Steigerungsbedingung des Lebens selbst interpretiert. Sie treiben Platonismus. Sie vollenden Nietzsches Irrtum, daß ein umgekehrter, ein umgewerteter Platonismus keiner mehr sei. Ihr „Arbeiter“: Das ist Metaphysik, die sich selbst nicht mehr als Metaphysik erkennt! Genau wie Ihr „Abenteuerliches Herz“!

E. Jünger: Nun gut, ich habe mit dem „Arbeiter“ vielleicht etwas übertrieben. Inzwischen sehe ich ganz andere Gestalten heraufziehen. Sehen Sie, eigentlich war ich, als ich den „Arbeiter“ konzipierte, wie die Futuristen nur ein wenig dem Rausch der Geschwindigkeit und der Ästhetik der Maschine erlegen. Haben Sie jemals selbst ein schnelles Automobil gelenkt oder ein Flugzeug? Sie sollten es tun!

Heidegger: Wie? Ich… Nein, wo denken Sie hin… Nun lenken Sie doch nicht ab, Herr Jünger! Denken Sie wesentlich! Hier geht es um das Wesen der Technik, nicht um technisches Gerät.

E. Jünger: Das Wesen – vermutlich wollen Sie es nicht im Sinne der platonischen Idee verstanden wissen. Dennoch habe ich das Gefühl, daß Sie mit „Wesen“ etwas sehr Ähnliches meinen – das, was hinter den Erscheinungen liegt, zugleich aber in den Erscheinungen sichtbar wird – und zwar nur dort. Wie wollen Sie über das Wesen der Technik sprechen, ohne technisches Gerät zu betrachten?

Heidegger: Das tue ich doch – wenn ich beispielsweise ein Wasserkraftwerk betrachte, das in den Fluß hineingebaut ist, erkenne ich das Wesen der Technik: der Fluß wird im Kraftwerk darauf gestellt, Kraft zu liefern. Aber ich erliege damit nicht wie Sie der Faszination der Erscheinung.

E. Jünger: Gerade an der faszinierenden, schillernden Oberfläche wird doch die Tiefe erst erkennbar. Ich bin Käfersammler, schon seit frühester Jugend. Die meisten Menschen sehen Käfer in erster Linie als Schädlinge in ihrem Garten oder in der Vorratskammer, als lästiges Geschwirr an einem lauen Sommerabend oder betrachten sie mit dem kalten, klassifizierenden Auge des Biologen. Ich sehe das buntschillernde Imago und in ihm die
Schöpfungsmacht des Universums. Diese Vielfalt, dieser Glanz, diese Pracht …

Heidegger: … dieser subjektivistische, neuzeitliche Ästhetizismus! Herr Jünger – was haben Ihre Käfer denn mit Technik und vollends gar mit dem Wesen der Technik zu tun? Wir sprachen über Ihren „Arbeiter“!

E. Jünger: … und darüber, daß sich im Wesen der Technik – für Sie und mich sichtbar in der Gestalt des „Arbeiters“ – die selbe Macht des Ungesonderten ausspricht wie in den Erscheinungen der belebten und unbelebten Materie, im Organischen wie im Anorganischen. Ich bin nicht nur der Sohn eines Chemikers, sondern zugleich das Kind eines ebenso naturwissenschaftlichen wie der Enkel eines idealistischen Zeitalters. Vielleicht sollten wir einmal ein gemeinsames Experiment wagen, damit Sie sehen und verstehen, was ich meine. Ein Experiment, das Ihnen die Augen öffnen wird. Eine Art Initiation. Wir werden uns auf einen Weg begeben, der über Grenzen, die uns heute trennen, hinausführt.

Heidegger: Nun gut… Solange Sie mich nicht als Adepten betrachten… Vielleicht wird es sich um einen Holzweg handeln. Holzwege führen immerhin zu den Quellen.

E. Jünger: Abseits der gewohnten Wege dürfen wir immer auf überraschende Begegnungen hoffen. Mitunter auch auf Schlangen. Ich schlage vor, wir treffen uns in einiger Zeit erneut. Ein guter Freund, ein gewisser Schwarzenberg, besitzt hoch im Norden eine kleine Insel, Godenholm. Dort werden wir gute Voraussetzungen für unser Experiment finden.

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Der zweite Teil erscheint am kommenden Sonntag.

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