Ernst Jünger und die Möglichkeit einer Insel

Wenn Waren, Dienstleistungen, Kapital, Rohstoffe und Arbeitskräfte um den Erdball fließen, sich nach Belieben niederlassen und frei walten und schalten können – ungehindert durch nationalstaatliche, ethnische oder kulturelle Grenzen oder Ordnungen –, nennt man das Globalisierung.

Was dem freien Fluss im Wege steht – nationale, ethnische oder kulturelle Identitäten – wird rücksichtslos abgeräumt. Manipulative Massenmedien, gelenkte Massenmigration, organisiertes Chaos, inszenierte Umstürze und Kriege sind nur die auffälligsten der dabei angewandten Mittel, um letzte Überreste solcher Identitäten zu beseitigen und alle Unterschiede einzuebnen. Auf diese Weise werden gleiche Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bis in den letzten Winkel dieses Planeten geschaffen.

Worauf läuft eine solche Globalisierung in organisatorischer Hinsicht hinaus? Entsteht am Ende das, was Ernst Jünger schon früh als Weltstaat bezeichnet hatte? Gibt es Möglichkeiten für einen Ausweg?

Weltstaat und Technik

Im Jahr 1932 hatte Ernst Jünger in seinem philosophischen Essay „Der Arbeiter“ die Heraufkunft eines von der Technik beherrschten globalen Ordnungssystems prognostiziert. 1960 konstatiert Jünger dann, dass die planetarische Ordnung sowohl dem Typus wie der Ausstattung nach bereits vollzogen sei; es fehle nur noch ihre Anerkennung, ihre Deklaration. Dieser Weltstaat würde eine neue Qualität erreichen, da er nicht mehr einer von vielen, sondern einzig ist. Jünger verband damit die Hoffnung, dass der menschliche Organismus als das eigentlich Humane, vom Zwang der Organisation befreit, wahrhaftiger hervortreten könne. In einem 1978 mit Jean-Louis de Rambures geführten Gespräch* stellt Jünger allerdings ernüchtert fest: „Der Weltstaat und mit ihm die Technik sind meiner Meinung nach tödlich für das Individuum.“ Das „eigentlich Humane“ also ist nicht vom Zwang befreit – es tritt nicht rein hervor, sondern ins Wesen- und Seelenlose ab.

Jünger, für den das Konzept des aus der französischen Revolution hervorgegangenen Nationalstaates überwunden ist, schwebt statt des Weltstaates eine Art Weltzivilisation vor. Im bereits zitierten Gespräch aus dem Jahr 1978 heißt es:

„Das Ideal wäre es vielleicht, wenn sich in bestimmten Bereichen wie der Kommunikation und der Geldwirtschaft ein planetarisches System einrichten ließe, während die verschiedenen regionalen und kulturellen Besonderheiten bestehen blieben.“

Und: „Die Gleichstellung der Völker oder der Geschlechter ist sehr gut. Dennoch darf man nicht an einen Punkt gelangen, an dem das geopfert wird, was jeden einzigartig macht.“ Jünger hält den Weltstaat 1978 nicht mehr für einen Fortschritt: „Persönlich bin ich mehr von dem angezogen, was die Deutschen ‚Heimat’ nennen, oder von Inselbewohnern.“ Dem Weltstaat hält er ebenso wenig wie den Nationalstaat für zukunftsfähig: „Im Übrigen bin ich wie Nietzsche der Meinung, dass der Weltstaat nur eine Zusammenballung von Molekülen sein kann, die dazu bestimmt sind, sich nach mehr oder weniger kurzer Zeit wieder zu trennen. Weder das römische Imperium noch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation bestanden ewig.“

Die Fellachisierung Europas

Dass die Globalisierung eines Tages in einen Weltstaat einmünden könnte, der über die mehr oder weniger dekorative Funktion der Vereinten Nationen hinausgeht, wird man derzeit angesichts einer sich heute immer deutlicher abzeichnenden multipolaren Weltordnung kaum mehr für wahrscheinlich halten. Nur einmal, 1990, nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, hätte es vielleicht den westlichen Staaten unter Führung der USA gelingen können, den entscheidenden Schritt in Richtung Weltstaat zu gehen. Doch es konnte dies nicht gelingen, weil das, was parallel unter dem Namen Globalisierung seine destabilisierenden Kräfte weltweit zu entfalten begann, seinem Wesen nach mit staatlichem Ordnungsdenken nicht harmonieren kann und will. Eine entfesselte globalisierte Wirtschaft – und um Wirtschaftsinteressen geht es bei der Globalisierung vorrangig, Ideologien sind nur Werkzeuge – wird auch einen westlich-liberal geprägten Weltstaat letztlich nur als hinderliche Regulierungsbehörde ansehen.

Wie aber verhält es sich heute mit der Staatlichkeit? Wenn von einer multipolaren Weltordnung die Rede ist, kann diese nicht durch eine extrem dynamische Globalisierungswirtschaft errichtet worden sein und aufrecht erhalten werden.

Tatsächlich hat sich sowohl in Russland als auch in China eine gewisse Form von Staatlichkeit in einem weit stärkeren Umfang gegen die Globalisierung behauptet als im Westen. Die USA, die mit den anderen westeuropäischen Staaten bereits kurz vor ihrer Selbstdemontage standen, um zu einer reinen Dienstleistungsagentur für die Weltwirtschaft zu werden, sind eigentlich erst durch die Wahl Donald Trumps wieder – und vielleicht nur vorläufig – in eine Art Staatlichkeit zurückgekehrt. Die Staaten bzw. ehemaligen Staaten der EU befinden sich bereits im Stadium der Auflösung. Die supranationale Struktur EU zeigt aber keine Stärke und gerät selbst zunehmend in den Sog der Auflösung. Die Fellachenstaaten, die Ernst Jünger 1977 in „Eumeswil“ als Folge des Zerfalls des Weltstaates erwähnt, sind heute nicht etwa nur in Afrika oder im Orient angesiedelt. Inzwischen ist klar, dass diese fragilen und primitiven Gebilde in der Mitte Europas ihren Platz gefunden haben und Namen wie Deutschland oder Frankreich tragen. Liegt, wenn seine Zerfallsprodukte heute Realität sind, der Weltstaat also bereits hinter uns? Was aber bleibt dann?

Dann bleibt neben den derzeit letzten noch existierenden starken Staatlichkeiten (USA, Russland, China) nur noch der Mahlstrom der Globalisierung, in dessen Strudeln alle gewachsenen Bestände der alten Welt wie auch der Kulturen Asiens zu verschwinden drohen – auch unsere alten Kulturen werden fortan nur noch museal gepflegt werden. Eine trübe Aussicht. Doch wirklich ohne Hoffnung?

Die Möglichkeit einer Insel

Jünger brachte in dem Gespräch von 1978 die Begriffe der Heimat und des Inselbewohners ins Spiel. Wir dürfen davon ausgehen, dass Jünger damit weder nur das beschauliche Leben in einem entlegenen Dorf noch die Einwohner Langeoogs oder Fehmarns gemeint hat, sondern neben der Konkretion auch die metaphysische Dimension von Heimat und Insel im Blick hatte. Nur von hier aus lässt sich, da weder die nationalstaatliche noch die weltstaatliche Ordnung widerständige Kraft haben, die Zerstörungskräfte der Globalisierung aufzuhalten, eine sichere Basis gewinnen, von der aus neben dem Rückzug in geistige Welten auch der Aufbruch in den Widerstand möglich ist.

Die Insel als Metapher ist altgedient. Inmitten einer existenziell bedrohlichen Umgebung bietet sie festen Grund, auf dem sich leben lässt. Die Insel ist etwas Abgeschlossenes, in sich Ruhendes – mögen auch Stürme über sie hinweggehen und Sturmfluten ihre Ufer überspülen, so bleibt sie doch ein starkes Symbol des Überstehens, des Überdauerns. Inselbewohner pflegen die Abgeschiedenheit, bewahren ihre Eigentümlichkeit – auch angesichts einer potenziellen Bedrohung durch menschliche Fluten in Gestalt von Touristenströmen, die die angestammte Kultur untergraben können. Die Insel ist der Fels in der Brandung, der im Kern (wenigstens nach menschlichem Zeitmaßstäben) fast ewig erhalten bleibt, mögen Wellen und Winde und der Zahn der Zeit auch an ihm nagen.

Solche Inseln existieren auch als ideelle. Jeder Mensch kann so eine Insel sein, in deren Inneres er sich zurückzieht, wenn die Stürme der Zeitgeschichte Orkanstärke erreichen. Dort, im Inneren, ist Sicherheit. Hier bleibt das erhalten, was erhalten bleiben muss. Oder mit Jünger: Das was jeden einzigartig macht. Genau die Zerstörung dieses Einzigarten zugunsten einer umfassenden Nivellierung aber gehört zur Globalisierung. Wer hingegen sein Einzigartiges bewahrt gegen jede Zumutung aber auch Verlockung – die Globalisierung hat viele Verlockungen zu bieten: Teilhabe an Reichtum und Macht –, der darf sich als Sieger fühlen. Er hat widerstanden. Doch was ist dieses Einzigartige?

Einsseins mit sich selbst

Das Einzigartige ist die Heimat. Auch Heimat ist mehr als eine konkrete Landschaft, die sich irgendwo geographisch verorten lässt und als solche längst zum Spielball von Globalisierungsinteressen geworden ist (mag sie auch als geschützte Herkunftsbezeichnung für traditionell erzeugte Lebensmittel im Warenbestand fortbestehen).

Heimat ist ein Symbol, in dem sich all das fassen lässt, das über den Menschen in seinen sozialen, wirtschaftlichen und alltäglichen Bezügen hinausgeht. Heimat ist Identität – das Einssein mit sich selbst und dem, woraus man lebt. Diese Heimat trägt jeder Mensch in sich. Egal wo er lebt: er kann aus ihr leben. Die meisten Menschen im Zeitalter der Globalisierung haben ihre Heimat vergessen – genauer gesagt: verraten und verkauft an all die kleinen Verheißungen und Bequemlichkeiten, die mit überbordenden Konsum- und Unterhaltungsangeboten einhergehen. Viele Menschen sind heute in sozialen Netzwerken digitaler Welten beheimatet – und halten das für ihre Identität. Man mag solche Medien nutzen, doch sobald man anfängt, die Präsenz auf Instagram oder Facebook für sein Ich zu halten, hat man verloren.

Also gilt es das wieder freizulegen, was das Dasein eigentlich ausmacht: die eigene Herkunft, Familie, die tiefe Liebe zu anderen Menschen, geschichtliche Bezüge und nicht zuletzt auch die metaphysischen Quellen des Ich. Lebt man in der Vereinzelung als soziales Atom? Oder erfährt das eigene Dasein durch den Anschluss an überindividuelle Energien eine andere Qualität?

Wer diese Heimat gewonnen hat, hat die sichere Basis erreicht. Er ist immun gegen die Zerstörungen der Globalisierung. Er kann sich jederzeit und an jedem Ort, völlig unabhängig von den sozialen Netzwerken, in sein Inneres und in die Gemeinschaft mit anderen Inselbewohnern zurückziehen und den Orkan abwettern. Er kann aber auch als Guerillakrieger in den Kampf ziehen – was uns als Globalisierung entgegentritt, ist schließlich an vielen Stellen verwundbar. Ein solcher Kampf aber dürfte sehr kräftezehrend sein. Und gewinnen lässt er sich ohnehin nur dort, wo die innere Heimat erreichbar bleibt.

 * Nachzulesen im Sammelband „Ernst Jünger, Gespräche im Weltstaat – Interviews und Dialoge 1929 – 1997, Klett-Cotta 2019.

Neu erschienen bei Klett Cotta: Gespräche im Weltstaat.

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