Eine Kultur der Äußerlichkeit: Über die Lebenswelt junger Migranten

Aus beruflichen Gründen tauche ich regelmäßig in die Jugendkultur orientalischer Immigranten ein. Dies als Fremdkörper, der eindringt, beobachtet, mal unbeachtet, mal abgelehnt. Folgende Ausführungen folgen aus den dabei gemachten Eindrücken. Sie erheben nicht den Anspruch, eine soziologische und kulturwissenschaftliche Analyse zu ersetzen. Allerdings wird eine solche in der Bundesrepublik seit jeher nie ohne ideologische Vorannahmen und Intention betrieben; ist daher wohl eher fragwürdig zu nennen, als die persönliche Erfahrung.

Wenn ich nun von migrantischer Jugendkultur spreche, meine ich die Kultur junger türkischer, kurdischer oder arabischer Migranten der dritten oder sogar schon vierten Generation. Es ist die Kultur der „Kanaken„, ein Wort, dass wie das US-amerikanische „Nigga“, schon längst von der abwertenden Fremdbezeichnung zur ironisch-stolzen Selbstbezeichnung transformierte.

Jugendliche dieser Kultur gehen ebenso in Diskotheken, Kinos und Parks wie deutsche Jugendliche, aber das symbolische Zentrum dieser Kultur ist eindeutig die Shisha-Bar. Das sind keine schäbigen Teestuben mehr, wie sie Ältere vielleicht noch als üblichen Treffpunkt orientalischer Migranten kennen. Vielmehr sind diese Läden durchdesignt und schick eingerichtet. Personal wie Gäste zeigen sich hier stets aufgestylt. Dies in einer Weise, die einem Deutschen übertrieben erscheinen mag, wenn er daran denkt, dass es hier nur darum geht, stundenlang süßlich schmeckenden Dampf aus einem Schlauch zu saugen. Tatsächlich muss man bei vielen dieser Bars reservieren, wenn man am Wochenende dort einen Tisch haben möchte. Die Atmosphäre dieser Bars ist dunkel und maskulin, auch wenn Frauen sowohl als Personal als auch als Gäste oft anzutreffen sind. Alles ist darauf ausgerichtet, sich lässig, raumeinehmend und attraktiv zu präsentieren. Männliche Stärke und weibliche Schönheit werden nicht versteckt, sondern ganz im Gegenteil, offen zur Schau gestellt. Die abgespielte Musik ist manchmal orientalisch, dominant jedoch ist die Musik der afroamerikanischen Jugendkultur (Rap, R’n’B).

Neben dem Besuch der Shisha-Bar scheint zumindest für die Männer dieser Kultur das nächtelange Herumfahren mit dem Auto ein zentraler Punkt der Freizeitgestaltung zu sein. Dies geschieht mit einem möglichst großen, protzigen und teuren Gefährt. Von Deutschen wird dies oft missverstanden und der Sinn dahinter einzig in der Zurschaustellung des Wagens auf irgendwelchen Flaniermeilen gesehen. Tatsächlich aber werden von den jungen Männern ständig neue Ziele angefahren, bei denen man kurz aussteigt um wenig später weiterzuziehen. Typische Ziele sind Shisha-Bars, Spielotheken, Laufhäuser, Solarien, Teestuben und bessere orientalische Gastronomie. Dönerbuden und sonstige Imbisse werden kaum aufgesucht. Sie richten sich mit ihrer meist billigen Atmosphäre an deutsche Kundschaft. Oft wird an den Zielorten keiner besonderen Aktivität nachgegangen. Bekannte Personen werden kurz und herzlich gegrüßt (Bruderkuss inklusive), Floskeln werden ausgetauscht, eine Zigarette geraucht oder ein Glas Tee getrunken.

Will man diese Kultur charakterisieren, so ist zunächst festzustellen, dass diese betont äußerlich ist. Äußerlich zum Ersten in dem Sinne, dass der Einzelne extrem hohen Wert auf sein Äußeres und sein Wirken auf Andere legt. Dabei liegt der Fokus auf der gestylten Attraktivität. Natürlichkeit, wie sie in manchen Milieus als Schönheitsideal kultiviert werden soll, spielt keine Rolle. Ebenso wie der eigene Körper, wird der eigene Erfolg präsentiert. Offensichtlich ist dies bei den bevorzugten PKW-Modellen. Auch im Gespräch mit dem Fremden wird gerne geprahlt. Immobilienbesitz der eigenen Familie, die Gründung einer Firma, das abgeschlossene Jurastudium des Cousins: das wird alles gerne beiläufig und weniger beiläufig erwähnt und zu einem Bild der eigenen Familie als „Gewinner“ verwoben. Der Arme gilt nichts in dieser Kultur, die den gesellschaftlichen Aufsteiger, legal wie illegal, heroisiert. Verachtet werden die Versager, und intensive Abgrenzung wird gepflegt zur mit Fettleibigkeit und Alkoholismus assoziierten deutschen Unterschicht, zu Zigeunern und den sogenannten Flüchtlingen. Umso lächerlicher ist die unter linken Deutschen immer noch vorherrschende Interpretation, die in diesen Menschen zuwendungsbedürftige, hilflose Schmuddelkinder und potentielle Verbündete in irgendeinem zukünftigen Klassenkampf sieht. Nichts hat mit dem Selbstbild dieser Menschen weniger zu tun.

Äußerlich zum Zweiten ist diese Kultur in dem Sinne, dass das Leben betont außerhalb des Privatraumes stattfindet. Wie selbstverständlich wird der öffentliche Raum durch Angehörige dieser Kultur in Besitz genommen. In einer Umwelt, die eigentlich „fremd“ ist, bewegen sie sich sicherer und hemmungsloser als viele Deutsche, für die ihre Städte eigentlich Heimat sein sollten. So kann dem Besucher einer Stadt, namentlich in einer Wochenendnacht, diese überfremdeter erscheinen, als sie tatsächlich ist, weil die deutschen Bewohner den öffentlichen Raum eher scheuen und sich auch in der Jugend zunehmend in den privaten Raum zurückziehen.  Dies hat sicherlich auch den ganz praktischen Hintergrund, dass viele junge Migranten in ihren zumeist konservativen Familien keinen Raum zur Entfaltung ihres Lebensstils finden. Notgedrungen sind sie daher im öffentlichen Raum präsenter und verfallen manchmal in ein schier rastloses Umherstreifen, auch zu Tageszeiten, bei denen der Durchschnittsdeutsche sich fragt, ob diese Leute nicht zur Arbeit oder zur Schule müssen. Ein kurioses Phänomen in diesem Kontext ist, dass manche dieser jungen Migranten tatsächlich Hotelzimmer mieten, um dort Geburtstagsfeiern mit ihren Cliquen zu veranstalten.

Findet das Leben außerhalb des Privatraumes statt, so werden analog auch die Gefühle nicht im Inneren zurückgehalten. Freundschaften, vermeintliche wie wahre, werden öffentlich inszeniert durch exaltierte Begrüßungsfloskeln, Küsschen und Umarmungen. Das Wort „Bruder“ (neuerdings auch gern im Diminutiv „Brudi„) wird inflationär benutzt. Bei Streitigkeiten scheint die Schwelle zur Gewaltanwendung gering. Um die eigene Ehre zu verteidigen, muss man bereit sein, Anderen die „Faust“ zu geben: Da steigt an einer roten Ampel der Beifahrer aus, um dem Fahrer des rechts haltenden Wagens durchs geöffnete Fenster eine „Respektschelle“ zu verpassen, nur weil der Blick wenig ehrerbietig interpretiert wurde. Da müssen vor der Shisha-Bar zwei Muskelberge von den Umstehenden zurückgehalten werden, um sich nicht zu schlagen und mögen darüber vielleicht insgeheim sogar froh sein. Für einen Außenstehenden ist die Grenze zwischen Show und Ernst nicht immer einfach zu erkennen.

Es fehlt das Tabu des Hasses, das die deutsche Gesellschaft so fest im Griff hat. Eine Einzelperson zu hassen und dies auch auszusprechen, ebenso wie einen Hass auf Gruppen zu pflegen, macht hier keinen zum Paria. Wenig verwunderlich sind die bevorzugt gehassten Gruppen Deutsche, US-Amerikaner und vor allem Juden. Daneben gibt es eine farbenfrohe Palette an Alltagsrassismen und Stereotypisierung nach ethnischer Abstammung, Hautfarbe und Religion. Obwohl all diese Menschen durchs bundesrepublikanische Schulsystem gegangen sind, scheinen politische Korrektheit und Toleranzpropaganda an ihnen schlicht und ergreifend abgeperlt zu sein. Das Homo- und sogenannte Transsexualität in ihrem Milieu verachtet werden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.

Ein Charakteristikum, dass man dieser Kultur ehrlicherweise zugestehen muss, ist ihre Vitalität. Diese Menschen sind lebenshungrig, was die Lust auf Konsum und Erlebnis einschließt. Aus Letzterem wird oft fälschlicherweise ein Beleg für Integration abgeleitet. Dies ist nicht der Fall. Allgemeine materialistische Werte des Westens werden geteilt und noch gesteigert. Die deutsche Gesellschaft und Kultur aber wird weiter als etwas eindeutig fremdes gesehen. Man ist und bleibt Ausländer, und die anderen sind die „Almans“.

Treten Deutsche in den Raum dieser Kultur ein, können sie durchaus Anschluss finden, wenn sie sich den Regeln unterwerfen und in ihrem Sinne performen. Die Blondine, die als Anhängsel eines orientalischen Mannes in diesem Milieu verkehrt, ist längst zum wandelnden Klischee geworden, und auch viele junge deutsche Männer fühlen sich von dieser Kultur angezogen. Oft handelt es sich dabei um eine Jugendphase, in der mit der Jugendkultur der Migranten lediglich oberflächlich kokettiert wird, z.B. durch Kleidung, Floskeln und Musikkonsum. Die hypermaskuline Migrantenkultur erfüllt dann die Rolle eines Refugiums, in dem sich der deutsche Junge vor dem Zugriff seiner gezähmten antimaskulinen, bürgerlich-deutschen Umwelt verbirgt. Der Migrationhintergrund der Freunde oder der angehimmelten Lieblingsrapper wird zum Schutzschild an dem polit-korrekte Schuldzuweisungsversuche von Müttern, Lehrerinnen und Pastorinnen abprallen. Was es dabei für langfristige Konsequenzen für eine Kultur hat, wenn wachsende Teile der eigenen männlichen Jugend zum Abschluss der Mannwerdung in eine fremde Kultur ausweichen (müssen), ist noch nicht abzusehen. Bisher verliert die Immigrantenkultur bei den meisten jungen Männern ihren Reiz wieder, wenn sie mit Erreichen des Berufslebens, insbesondere im akademischen Bereich, zu sehr mit den Erwartungen der Umwelt kollidiert. Prominentestes Beispiel für einen scheinbar dauerhaften und vollständigen Anschluss dürfte der Rapper Kollegah, bürgerlich Felix Blume, sein. Er soll seine Abgrenzung zur deutschen Mehrheitskultur durch die Annahme des islamischen Glaubens (durch Einfluss seines algerischen Stiefvaters) unterstrichen haben.

Distinktion ist die wesentliche Rolle der Religion in diesem Milieu. Sie grenzt deutlich von den Deutschen ab, aber auch untereinander zwischen Jesiden, Alewiten, Sunniten, Christen usw. Hier verläuft die fragilste Bruchlinie des Milieus. Kommt es zu partnerschaftlichen Verbindungen zwischen Frauen und Männern verschiedener Gruppen, können Konflikte eskalieren, die in ihrer Härte dem selbsternannt aufgeklärten Deutschen irrational und furchteinflössend erscheinen.

Daneben spielt die Religion ihre Rolle als Lieferant wiederum abgrenzender Lebensregeln. Viele essen kein Schweinefleisch, manche essen „halal“ und verzichten auf Alkohol. Shisha-Bars, die keinen Alkohol ausschenken und ein halal-Siegel tragen, tauchen auf dem Markt auf. Gerade der Alkoholverzicht in dem Milieu sollte aber nicht überschätzt werden. Harte und teure Marken-Alkoholika sind in Kombination mit Energy-Drinks beliebtes Getränk zum Feiern. Der junge Orientale, der am Samstagabend mit zwei Three-Sixty-Wodkaflaschen und dem Sechserträger T-400-Energy an der Kasse steht, ist deutschlandweit ein übliches Bild geworden.

Verpönt und doch gepflegt ist der voreheliche vaginale Geschlechtsverkehr. Die gewitzten unter ihnen weichen auf Anal- und Oralverkehr aus. Sexuelle Attraktivität liegt für junge Frauen in ständigem Konflitk mit der Anforderung, keine Schlampe zu sein und sich nicht „wie eine Deutsche“ zu verhalten. Viele junge Männer weichen auf Frauen anderer ethnischer Gruppen oder auf Prostituierte aus.

Diese Kultur ist sittenstreng und hedonistisch zugleich und surft damit stets am äußersten Rande der Heuchelei. Als Chimäre westlicher Konsumkultur und Relikten der traditionellen Ursprungskultur erinnert sie an die jungen Italo-Amerikaner der dritten Generation, wie sie der Film „Saturday Night Fever“ popularisierte. So wie dort der überkommene Alltagskatholizismus mit dem sich ausbreitenden Hedonismus der 1970er Jahre kollidiert, ringt hier ein alt-orientalischer Sittenkomplex mit dem allgegenwärtigen neoliberalen Versprechen der gesellschaftlichen Anerkennung, des Aufstiegs und Konsums.

Welche Relevanz hat diese Kultur und ihr innerer Konflikt für unsere Kultur und unsere Politik? Für jeden, der sich berufen fühlt, stelle ich drei Thesen zur Diskussion.

These #1

Rechte Deutungen der migrantische Jugendkultur gehen von ideologischen Vorannahmen aus und verkennen den Charakter dieser Kultur. Die von rechten Islamkritikern beschworene Ausbreitung des Salafismus wird im Allgemeinen überschätzt. Abgesehen davon, dass dieser bereits eine modernistische Adaption des Islam ist, ist nicht zu erkennen, dass er einen Siegeszug innerhalb der migrantischen Jugendkultur durchführt. Vielmehr scheint der Salafismus einen Fluchtpunkt für Überforderte und Außenseiter zu bilden, so wie es in der deutschen Mehrheitsgesellschaft Freikirchen und Sekten sind. Ebenso geht die Annahme traditionalistischer Rechter fehl, dass orientalische Migranten in Deutschland einen Widerstandskern gegen die Moderne und den Globalismus bilden und potentielle Verbündete sein könnten. Der von Traditionalisten idealisierte Islam existiert so nur in den Köpfen ebenjener Schwärmer. Aber vor allem ist der real existierende Islam in Deutschland viel mehr ein Mittel zur Unterstreichung ethnischer und kultureller Grenzen, denn Ausdruck echter Frömmigkeit. Am Konsum teilzuhaben und gesellschaftlichen Rang dadurch zu erwerben, ist Bedürfnis der jungen Migranten der dritten Generation, ebenso wie der hier nicht betrachteten sogenannten Flüchtlinge. Es steht sogar zu befürchten, dass der Materialismus durch diese noch stärker angeheizt wird, da sowohl den Migranten der dritten Generation wie den seit 2015 einströmenden Migranten jegliche Ansätze zu konsumkritischem Lebensstil fehlen. Natur- und Umweltschutz und die von vielen Deutschen eifrig betriebene Mülltrennung etc. sind weder in den Heimatländern dieser Menschen bekannt, noch werden sie hier übernommen.

These #2

Die migrantische Jugendkultur erweist sich gegenüber der deutschen Jugendkultur als erfolgreicher im Setzen von Trends und Übernahme des öffentlichen Raumes. Seitdem Ende der 1990er Jahre die klassischen westlichen Jugendkulturen der Punker, Skins, Gruftis und Metalheads weitestgehend zerfallen sind und fast nur noch von 30-50-Jährigen Kidults gepflegt werden, scheint einzig die Migrantenkultur noch wahrnehmbar. Jüngere Jugendkulturen sind, wie die Emo-Kultur, rasend schnell wieder verschwunden oder treten, wie die Gamer-Kultur, öffentlich höchstens durch Pokémon-Go-Flashmobs in Erscheinung. Die identitäre Bewegung hat sich als effektive Kommunikationsguerilla etabliert, ist von der Begründung einer neuen Jugendkultur jedoch meilenweit entfernt. Nach persönlicher Einschätzung ist eine solche wohl auch zu wenig anschlussfähig, da zu akademisch und intellektualistisch. Dies lässt für die weitere Entwicklung der deutschen Jugend nichts Gutes erwarten. Gleiches gilt übrigens auch für linke Zusammenhänge, deren geschlechtsloses Opfergehabe unattraktiv ist und die unter den gleichen demographischen Ausdünnungstendenzen leiden wie die politische Rechte.

These #3

Die korrumpierende Kraft des „Westens“ ist ungebrochen. Das spezifisch Deutsche verschwindet, doch die Verdrängung durch Menschen orientalischer Abstammung ist rein demographischer Natur. An der Herrschaft des Materialismus, Konsumismus und Hedonismus ändert sich Garnichts. Der Blick in die Türkei, den Iran oder Saudi-Arabien zeigt, dass auch die Heimatländer der Migranten der Korrumpierung nicht mehr standhalten. Das Imperium des Nichts (Jack Donovan) siegt überall und unter diesen Umständen sind von uns tiefergehende Antworten gefordert, als eine so oder so nicht mögliche Rückkehr zu einer Bundesrepublik der 1950er, -60er, -70er Jahre, in der man dann entspannter dem Hedonismus frönen und „ohne Türken“ konsumieren kann.

 

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