100 Jahre Hans Blumenberg: „Der Schreibtisch des Philosophen“

Uwe Wolffs Erinnerungen an Hans Blumenberg

Der schöne Name Blumenberg verbindet sich mit dem Projekt einer „Metaphorologie“. Zum Beispiel wird in Hans Blumenbergs wohl bekanntestem Buch „Schiffbruch mit Zuschauer“ die Geschichte der im Titel genannten Daseinsmetapher von ihren Ursprüngen in der Antike bis ins 20. Jahrhundert erzählt, sodass sich entlang dieser Metapher auf engstem Raum (gerade mal rund 80 Seiten) ein Längsschnitt durch die gesamte Geistesgeschichte des Abendlandes ergibt. Solch ein Buch konnte nur jemand mit stupendem Wissen schreiben: Blumenberg verfolgt die Metapher des Schiffbruchs bis in feinste Verästelungen, etwa im Werk Goethes.

Blumenbergs Aufmerksamkeit für die Metapher als wichtige Dimension philosophischen Denkens steht quer zu einer Grundtendenz der neuzeitlichen Philosophie, die spätestens seit Thomas Hobbes eher auf eine Elimination des Bildes und der damit verbundenen Ungenauigkeit zielt. Im Rahmen der „Kalkülvernunft“ (Hans-Dieter Mutschler) soll es mathematisch exakt zugehen. Dem entspricht ein Philosophieverständnis, das alles Erzählerische oder Anekdotische bestenfalls als nebensächlich für das Verständnis eines Philosophen betrachtet, darüber vergessend, dass der größte Denker des Abendlandes – Platon – seine Philosophie in dramatischen Szenen entfaltete und immer wieder Gleichnisse und Mythen in diese Szenen einflocht.

Hans Blumenberg würde dieses Jahr am 13. Juli seinen 100. Geburtstag feiern. Uwe Wolffs kleines Buch gibt Aufschlüsse über den Menschen, der sich hinter dem Werk verbarg. Wolff war Blumenberg eng verbunden, er hörte ihn in Münster und stand später in intensivem Briefkontakt mit ihm. Der titelgebende Schreibtisch von Hans Blumenberg, den Uwe Wolff zu Beginn seines Buches in den eigenen Haushalt übernimmt, dient als Ausgangspunkt der Erinnerungsarbeit. Man kann diese Erinnerungen, auch ohne Zugang zur Blumenberg’schen Philosophie, rein aus Interesse am Biografischen lesen. Dabei wird man mit unterhaltsamen, wunderbar erzählten Anekdoten belohnt. (Einem Studenten, der seine Vorlesung verlässt, ruft Blumenberg hinterher: „Gehen Sie ruhig! Mich langweilt die Vorlesung heute auch!“) Darüber hinaus gibt das Buch aber auch Aufschluss über den Charakter Blumenbergs und über die Motive, die sein Denken antrieben, über seine intellektuell prägenden Lehrer, Freunde und Weggefährten und über sein Verhältnis zur Religion, das zwischen Distanz und Annäherung schwankte.

In seiner Danksagung berichtet Uwe Wolff: „Hans Blumenberg teilte meine Freude am biografischen Zeugnis, wenn er die zahlreichen zeitgenössischen Berichte über Johann Wolfgang von Goethe, Sigmund Freud oder Rainer Maria Rilke mit Vergnügen las und in seinen Erzählungen anschaulich zu biografischen Schlüsselszenen verdichtete.“ Solche Verdichtungen gelingen Uwe Wolff auch in seinem Buch. Weiter heißt es darin: „Erinnerung (Memoria) ist eine Pflicht der Lebenden und ein Dienst an den Verstorbenen. Ohne sie gibt es keine Kultur.“ Mit dem Wort „Erinnerung“ ist der Begriff genannt, der den Schritt aus der Biografie zurück in die Philosophie ermöglichen könnte: In der Erinnerung (griechisch anamnesis) erfassen wir nach Platon – durch die Oberfläche der Erscheinungen, durch das bunte Vielerlei des Lebens hindurch – das Eine, das Prinzip und Wesen der Dinge und Menschen. Es könnte sein, dass Uwe Wolff dies in Bezug auf Hans Blumenberg ein Stück weit gelungen ist – ohne damit das Geheimnis aufzulösen, das jeden Menschen umgibt.

Uwe Wolff: Der Schreibtisch des Philosophen. Erinnerungen an Hans Blumenberg. Claudius Verlag München 2020. 135 Seiten.

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