Balkan-Tour: Von Belgrad nach Sarajevo

Es ist früh morgens, ich zünde mir eine Zigarette an und öffne das Fenster, die Sonne scheint angenehm warm durch die Frontscheibe. Der Griff geht zur Sonnenbrille und wir fahren los. Andreas fummelt noch gedankenverloren am Navi herum und Johannes kommentiert von der Rückbank aus die Körbchengröße der passierenden Studentinnen. Die Stimmung ist super, im Radio läuft Maria Magdalena von Sandra.

Ab geht’s! Unsere Route führt uns von Belgrad aus durch den ländlichen Teil Serbiens nach Sarajevo.

Wir fahren vordergründig durch eine mit grün überzogene Hügellandschaft und passieren einige kleine Orte. Am Straßenrand gibt es Gemüse, Obst und natürlich selbstgebrannten Slivovitz, den wir uns nicht entgehen lassen. Umgerechnet zahlen wir rund sieben Euro für eine 1 Liter Flasche Schnaps, das ist fair denken wir und eine Plastiktüte gibt es wie überall gratis oben drauf. Es wird noch schnell ein Foto mit der Verkäuferin gemacht, die sichtlich von unserer Begeisterung über ihren Stand erfreut ist – Touristen hatte sie wohl heute keine mehr erwartet. Die Straßen sind gut aber sehr kurvenlastig, sodass wir keinesfalls schneller als 80 km/h fahren können, doch das wollen wir auch gar nicht. Wir fahren weiter einige Stunden durchs Land und sind überrascht, dass es hier nicht einmal industrialisierte Landwirtschaft gibt. Sowieso, der wirtschaftliche Standard in Serbien ist extrem niedrig, kein Vergleich zu Westeuropa. Auch das Leben ist anders, einfacher, unkomplizierter, bodenständiger. Wir fühlen uns sehr wohl, die Leute sind offen und warmherzig. Wirtschaftlicher und technischer Fortschritt ist wohl nicht zwangsläufig auch ein menschlicher.

Wir halten am nächsten, auf einem kleinen Hügel gelegenen Restorant, wie es hier heißt. Beim Essen haben wir eine Aussicht über die Region; wir sehen kleine Hütten, Schafsherden, einfach unheimlich viel Natur und wenig Menschen. Die Technik scheint gerade ganz weit weg zu sein. Doch einen Augenblick später greife ich gedankenabwesend in meine Hosentasche, um mein Handy herauszuholen und ein Foto von den Jungs vor dem tollen Panorama zu knipsen. Wir nehmen draußen am Restaurant platz und bestellen eine Cevapen-Platte. Der Chef hat den Grill schon angeworfen und keine 10 Minuten später steht unser üppiges Mahl auf dem Tisch. Vegetarier haben es hier wirklich sehr schwer, der Salat beschränkt sich auf eine Scheibe Gurke und eine winzige Portion Krautsalat. Mit einem frisch gezapften Jelen Pivo gehen die fettigen Cevapen besonders gut runter. Es sind die einfachen Dinge die hier zählen, essen, trinken und gute Gesellschaft. Vom Essen leicht beschwert setzen wir uns wieder ins Auto. Wir passieren die serbische Grenze und dann die bosnische. Genaugenommen die der Republik Srpska, neben Hercegovina und Bosnien die dritte Teilregion in diesem wilden Staatenkonstrukt. Ganz genau blicken wir jedoch nicht durch, welche Region wo liegt und wie diese nun entstanden sind. Hier ist der ethnisch und religiöse Melting Pot jederzeit präsent. Muslimische Bosniaken, katholische Kroaten und orthodoxe Serben, wer zu wem gehört und wie die Beziehungen untereinander sind lässt sich jedoch als Außenstehender nur erahnen.

Kurz vor Sarajevo machen wir noch einmal Halt an einem Café. Vor der Tür sitzt ein alter Mann und raucht Zigarette, offensichtlich der Besitzer. Er begrüßt uns recht herzlich und wir bestellen drei Espresso, wir sind die einzigen Gäste, weshalb die warmen Koffeinsüppchen nicht lange auf sich warten lassen. Das Café sieht aus wie aus den 80er Jahren, hier ist die Zeit stehengblieben. „Ganz bestimmt wurde es seitdem auch nicht mehr renoviert“ meint Andreas und deutet dabei auf die ikonenähnlichen Titobilder an der Wand. Der Besitzer des Cafes nimmt Notiz davon, und voller Begeisterung sagt er„Tito!“. Das Funkeln in seinen Augen rundet diese nostalgische Szene ab, und man fühlt es: Dieser Mann träumt von besseren Tagen und einer nie wiederkehrenden Vergangenheit. Johannes kippt seinen Espresso in einem Rutsch herunter. Das heißt wohl, dass es schnell weitergehen soll und da er schließlich fährt, kippen wir uns den Kaffee ebenfalls rein. Wir überlegen noch wie viel Trinkgeld wir geben sollen, einerseits sind wir von dem Mann begeistert und wollen ihm etwas Gutes tun, andererseits wollen wir nicht zu sehr wie arrogante, reiche Wessis rüberkommen, die wir ja schließlich auch nicht sind. Wir bezahlen umgerechnet drei Euro inklusive Trinkgeld. Langsam wird es dunkel und wir nähern uns der Stadt, die Siedlungen werden dichter und gleichzeitig auch dreckiger, überall am Straßenrand liegt Müll herum und dazwischen streunen Hunde.

Sarajevo befindet sich in einem Tal. Über diese geographische Lage waren sich auch die Serben im Klaren und belagerten im Bosnienkrieg die Stadt ganze vier Jahre. Überall in der Stadt sind noch Spuren davon zu sehen. Etliche Häuser sind mit Einschusslöchern übersät. Unser Apartment liegt leicht außerhalb des Stadtkerns, wahrscheinlich in einer kroatischen Siedlung. Wir schmeißen unsere Sachen ins Zimmer, kaufen uns am kleinen Markt jeder ein Bier und fahren für vier Euro mit dem Taxi in die Altstadt. Was wir hier sehen überrascht uns doch. Eine Altstadt, voller kleiner Gassen über denen die spitzen Minarette ragen. Es liegt ein süßlicher Geruch in der Luft, der wohl von den umliegenden Shisha-Bars kommen muss. Auch die Geschäfte geben der Altstadt einen authentischen, osmanischen Flair. Die ersten Moscheen die hier stehen stammen aus dem 15. Jahrhundert, seitdem ist die Stadt in Teilen muslimisch. Bemerkenswert an dieser Islamisierung ist wohl, dass sie nicht durch einen Bevölkerungsaustausch stattfand, sondern vorwiegend durch die Konversion der ansässigen Bosniaken, die zuvor Christen waren. Wir streifen eine Weile durch die Gassen und begutachten die Angebote der Geschäfte: neben gefälschten Gucci Handtaschen und osmanischen Teeservices sind vor allem die Restaurants präsent, in denen es selbstverständlich feinstes Halal Fleisch gibt, in dem wir gleich nochmal jeder eine Portion verspeisen. Nun sind wir uns aber alle einig und wollen endlich in eine Kneipe, und so nehmen wir die erstbeste. Als wir uns hinsetzen und bestellt haben wird uns jedoch auch gleich klar, dass dies die falsche Entscheidung war. Ein aufdringlicher Kellner in den Zwanzigern ist voll in Partylaune, er bedient unter dem Krach der Musik sehr hektisch und fragt ständig ob es noch was sein darf. Im Hintergrund flimmern die Fernseher auf denen irgendein Basketballspiel läuft. Egal, wir trinken schnell unseren Halben aus und rauchen unsere Zigarette zu Ende. Da uns der Kellner so unsympathisch war wollte wir ganz bewusst kein Trinkgeld geben und legen das Geld passend auf den Tisch. Der Kellner fragt ganz erstaunt „what about tip?“. Wir gehen hinaus. Wir fragen einige Passanten wo man denn gut hingehen könne an einem Freitagabend, selbstverständlich suchen wir eine Kneipe und keine Disco, betont Andreas jedes Mal mit Nachdruck. Ein älterer Herr, offensichtlich kein Muslim, empfiehlt uns das Restaurant der hiesigen Brauerei „Sarajevsko“. In sehr gebrochenem Deutsch erklärt er uns den Weg. Über die Brücke dann links und die zweite rechts hoch. Wir bedanken uns und gehen los. Wir überlegen woher der Mann wohl deutsch konnte und bereuen zugleich, dass wir ihn nicht gefragt haben. Bestimmt war er als Flüchtling in den 90er Jahren in Deutschland und ist dann irgendwann in seine Heimat zurückgekehrt.

Angekommen bei der Brauerei trauen wir unseren Augen nicht. Wir treten in einen sehr großen Saal ein in dem bestimmt hundert Leute verteilt in kleinen Gruppen an Tischen sitzen. In der Mitte des Saals spielt eine Band offensichtlich Volkslieder. Die Stimmung ist am kochen, die Leute sind am essen, trinken und singen lautstark mit. Alle sind total ausgelassen. Genau unser Laden! Keine hippen Kellner, keine Fernseher und keine beliebige Popmusik von Übersee. Wir lassen uns von dem Kellner den wohl letzten freien Tisch zuweisen und bestellen direkt eine Runde Bier und Slivovitz. Großartig denken wir und dazu sind wir noch die einzigen Ausländer. Auch Johannes ist sehr glücklich als er den Schnaps hinunterkippt. Wir trinken ein Bier nach dem anderen und rauchen dabei sehr viel. Der ganze Laden ist völlig verqualmt. Die Stimmung wird immer besser, die verschwitzten Männer öffnen ihre oberen Hemdknöpfe und singen noch ausgiebiger mit als noch zwei Stunden zuvor. Wir verstehen kein Wort, doch es muss sich zweifelsohne um Volkslieder handeln, was wir den verzerrten, leidenschaftlich mitsingenden Gesichtern der Gäste entnehmen. Wir diskutieren über die Bevölkerungszusammensetzung und sind uns jedoch nur in einem Punkt einig und zwar, dass es sich hier in diesem Laden nicht um Muslime handelt. Ob wir nun von Serben oder Kroaten umgeben sind können wir nicht feststellen. Fragen wollen wir auch niemanden, da wir nicht wissen wie sensibel dieses Thema ist und da wir nichts falsches Fragen wollen bestellen wir weiter Runden. Ich werde allmählich sehr betrunken und kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen, die Fahrt war schließlich doch sehr lang. Noch eine Runde Slivovitz und dann mit dem Taxi zurück zum Apartment. Zuhause gibt es ein letztes Dosenbier das wir aus Serbien mitgebracht haben, ich schaffe es nicht mehr ganz auszutrinken und falle ins Bett. Mitten in der Nacht werde ich wach, der Muezzin ruft wohl zum Morgengebet. Es hallt durch das ganze Tal, es ist enorm laut, doch gleichzeitig sorgt die Fremdheit der mystischen Klänge für ein nicht näher zu beschreibendes Wohlbefinden.

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