„Angekommen in der totalen Gegenwart“

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Leif Randt, Allegro Pastell.
Leif Randt, Allegro Pastell.

Derzeit hagelt es überschwängliche Besprechungen und Lobeshymnen. In Anbetracht des Hypes, den der neue Roman Allegro Pastell von Leif Randt ausgelöst hat, muss man sich fragen: Was will uns diese als Lovestory aus den späten Zehnerjahren betitelte Geschichte eigentlich sagen? Und haben wir hier vielleicht sogar ein Buch vor uns, das zur Krönung der Popliteratur avancieren könnte?

Tanja Arnheim ist 31 Jahre alt, sie ist Autorin und konnte bereits einen ersten kleineren Bucherfolg feiern. Sie wohnt in Berlin und führt eine Fernbeziehung mit Jerome Daimler, der ein paar Jahre älter ist und als recht erfolgreicher Webdesigner im Maintal wohnt. Sie sehen sich regelmäßig, aber nicht zu oft, sie haben sich gerne, aber auch nicht zu sehr. Dazu gibt es ab und an ein paar Partys und etwas Sex, allerdings nie zu viel, denn sie behalten durch ein Übermaß an Selbstreflexion stets die Kontrolle über all ihre Handlungen und Gedanken. Emotionen haben fast gar keinen Stellenwert. Die beiden Hauptfiguren fristen eine Existenz der Langeweile, die aus Spotify-Playlisten, Decathlon-Sportbekleidung, mobilen Sprachnachriten und mittelmäßigen Restaurants besteht.

Nein, das ist keine ironische Überhöhung der im Roman gezeichneten Lebenswelt. Sie ist genau so: Frei von emotionalen Regungen oder zaghaften Ausschlägen auf dem inneren Herzfrequenzmessgerät. Das Leben plätschert so vor sich hin, alles ist irgendwie „nice“ oder „okay“. Geldprobleme existieren in dieser Welt ebensowenig wie andere elementare Sorgen. Selbst als es zur Trennung zwischen Tanja und Jerome kommt, sind sie sicher, dass sie schnellstmöglich darüber hinweg sein werden. Kein Anflug von Nostalgie oder Sehnsucht, denn alle Erlebnisse und Erfahrungen bleiben letztlich austauschbar und sind nur Teil eines Personality-Portfolios. Nichts liegt außerhalb der eigenen Kontrolle, alles ist bis ins Letzte kalkuliert. Und vor allem dreht sich alles um einen selbst, keine Störfaktoren von außen dringen in diese ultimative Komfortzone herein.

„Marlene fuhr mit ihrem Chef durch Europa und führte Verhandlungsgespräche im Hosenanzug. Jerome saß am Laptop und programmierte Webseiten für Museen, Vereine und Künstler*innen. Tanja schrieb Texte, die vor allem Menschen berührten, die so ähnlich waren wie sie selbst.“

Zugegebenermaßen zeichnet Randt diese Welt so authentisch wie es nur möglich ist. Der moderne Leser lebt schließlich selbst in ihr, und dieser monotone Dauerzustand des dröhnenden Nichts führt in regelmäßigen Abständen Nervositätszustände herbei. Dabei wartet man vergebens auf einen die totale Langeweile durchstoßenden Moment, der aus der lethargischen Szenerie herausreißt. Kritiker werden zu Recht die Frage stellen, was das Ganze mit Literatur zu tun haben könnte, steht doch die Erkenntnis, dass es kein oben und unten, kein rechts und links mehr gibt, längst symbolisch für ebenjene porträtierte Generation. Antworten auf die Frage nach dem literarischen Wert liefert das bundesdeutsche Feuilleton allerdings zu Genüge.

Ijoma Mangold beispielsweise rühmt in der ZEIT Leif Randts Roman erwartungsgemäß sensationslüstern und interessanterweise gerade deshalb, weil er sich jeglichen Kommentars zum Zeitgeist entziehe und somit selbst ein Abbild desselben geworden sei. Allegro Pastell sei konsequenter und gar besser als sein literarischer Vorläufer ,Faserland‘ (Christian Kracht). Jener überzeugt doch im Vergleich gerade durch seinen ironischen Unterton und seine unterschwellige Kritik an Materialismus und Kulturlosigkeit. Das alles vermisst man bei Allegro Pastell. Als Vertreter der von Randt skizzierten Generation fragt man sich, wo der Mehrwert versteckt sein soll, wenn man Szenen aus seinem eigenen Leben vorgespielt bekommt. Was erfährt man, was man nicht auch der eigenen Lebenswelt beobachten könnte, in Kommilitonen- und Bekanntenkreisen. Die Antwort lautet: nichts.

„Alle vier Arnheims hatten Angela Merkel ins Herz geschlossen, auf einer affektiv-menschlichen Ebene, ohne sie je gewählt zu haben. Tanja fragte sich, wann sie zuletzt über Politik gestritten hatte.“

Randt legt weder Verborgenes frei noch zeigt er Oberflächliches im Detail. Sicherlich wird der Autor selbst das nicht als Kritik gelten lassen, da genau dies seine Ambition ist und dadurch ein stimmiges „Dokument einer ästhetischen Zeitenwende“ (SZ) vorlegt. Ein derart radikal-verschlossener Sound ist in der Literatur sicherlich neu. Doch sieht so wirklich die Vollendung der Popliteratur aus, die endgültige Niederlage des Inhalts, der Sieg des Äußeren über das Innere?

Die beiden Vorgänger Schimmernder Dunst über Coby County (2011) und Planet Magnon (2015) waren gerade durch ihre gesellschaftskritischen Untertöne und dystopisch anmutenden Szenarien so lesenswert. Das alles vermisst man in den hier skizzierten Zehnerjahren schmerzlich. Vielleicht aber wirkt Allegro Pastell ja ganz anders und erzeugt durch die Demaskierung der eigenen gemütlichen Komfortzone im Hort der Belanglosigkeit irgendeine Form von Aufbegehren. Vermutlich aber eher nicht, werden die Leser von Allegro Pastell doch so ähnlich sein wie die Protagonisten selbst. Man wird das alles ganz „okay“ finden und sein Leben weiter so leben – immerhin mit Büchern von Leif Randt.

Leif Randt, Allegro Pastell, KiWi 2020, 22€. Hier kaufen.

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