Andrej Tarkowski: Die Einheit von Kamera und Landschaft

Die Filme von Andrej Tarkowski stehen für eine übersteigerte Sinnlichkeit des Sehens, gerade darin liegt auch heute noch ihr Wert. Müsste man dafür ein treffendes Bild aus einem seiner eigenen Filmen finden, so würde sich eine Pflanze anbieten.

Am Beginn von Solaris (1972) sieht man Wasserpest, die sich der Strömung eines Baches wiegt, ein vorbeitreibendes Blatt; dann schwenkt die Kamera langsam zu den Gräsern und Schilfblättern am Ufer. Die Hauptfigur steht bewegungslos inmitten dieser Welt, der Arm ist auf ein Knie gestützt. Beim Schwenk aufs Gesicht erkennt man den Ausdruck, der so typisch ist für die Figuren in Tarkowskis Filmen: das Grübeln, das in die Landschaft versunken sein, das kantige, vom Leben gezeichnete Gesicht, dessen Augen tief in den Höhlen liegen. Der Charakter ist offenbar eine Art Romantiker, der in der Landschaft um ihn herum innere Vorgänge zu entdecken meint, doch für den Zuschauer wirkt er in seiner Unbewegtheit eher wie eine Fortsetzung der Landschaft. Oder vielleicht bereits wie die Fortsetzung der Kameraführung, denn ausschweifende Aktionen sind ihre Sache nicht. Eher ähnelt sie der sich in der Strömung wiegenden Wasserpest: sie schwebt und gleitet.

Tarkowskis Blick ist zärtlich, er filmt die Pflanzen nicht bloß, er schafft ihnen einen eigenen Raum, wandert durch ihre eigene Welt und stellt sie der Hauptfigur gleichberechtigt gegenüber. Es geht um ein Einfühlen in die Szenerie und ihre Details, um die Farbe der Blätter, um die Lichtspiegelungen auf dem Wasser. Auf der Audiospur hört man ein tiefes Glucksen. Die Hauptfigur steht auf einer Wiese, Nebel und verdorrte Blüten um sie herum. Noch einmal kratzt sie sich an der Wange und scheint beim Laut eines Vogels aufzuhorchen, dann geht sie.

Die Sinnlichkeit dieser Szene überwältigt, und doch ist dieser Blick kein Selbstzweck. Tarkowski selbst schrieb, dass eine solche „poetische Logik“ des Films dem Zuschauer ermöglichen würde die „subtilen Bezüge und geheimsten Phänomene des Lebens“ nachzuempfinden. Es geht um das Entdecken von Verbindungen, von Zusammenhängen die uns im Alltag entgehen, denn bei einer naturalistischen Darstellung sei es eben nicht möglich, das Leben „in seiner tatsächlichen Schönheit wahrnehmen“ zu können. Der Blick der Kamera gleicht einem Spiegel, in der man die Welt noch einmal erhöht und – wahrhaftiger als zuvor – wiederentdecken kann.

Nehmen wir eine Szene aus Nostalghia (1983). Die Hauptfigur schreitet durch eine Ruine, mutmaßlich ein verlassenes Kloster oder eine Kirche. Große Bögen aus Stein wölben sich über ihr, durch das fehlende Dach dringt Licht. Und gleich der Architektur wird mit einem Mal auch die Kamera strenger. In exakter, ruhiger Form zieht sie sich einmal durch das Gewölbe, verliert die Figur zwischendurch und stoppt dann gemeinsam mit ihr in einem Gang. So wie sie in der Eröffnungsszene von Solaris das Wiegen der Pflanzen und des Wassers imitiert, so folgt sie nun der Linienführung der Mauern. Die Figur ist klein in ihr, wird von ihr überragt, so wie sie innerhalb des Gebäudes klein und beinahe verloren wirkt.

Diese Einheit von Kamera und Landschaft, diese Neigung, das Sinnliche selbst zum formgebenden Maßstab zu machen war es wohl, was Tarkowskij als die Verwirklichung seiner Forderung sah:

„In seiner Weiterentwicklung wird sich der Film meiner Meinung nach nicht nur von der Literatur, sondern auch von den anderen Künsten entfernen und auf diese Weise immer selbstständiger werden.“

Tarkowski macht Film in einer sehr eigenen und reinen Form, die eben das Sehen zum Hauptmerkmal macht. Er verwendet keine Bilder um eine Geschichte zu erzählen. Das, was die Kamera sieht, bestimmt was und vor allem wie es erzählt wird.

Weitere Beiträge